(Berlin) – Die Bundesregierung hat die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) aus dem Jahr 2020 fortgeschrieben. Die Evaluierung und Weiterentwicklung nach drei Jahren war seinerzeit bereits festgelegt worden, ein Update überdies explizit Bestandteil des Koalitionsvertrages.

Die „Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS 2023)“ gibt es kostenfrei als PDF (34 Seiten, Klick auf das Bild)

Die aktuelle Fortschreibung sieht, wie berichtet, ein erhöhtes Tempo beim Aufbau der deutschen Wasserstoffwirtschaft vor. Grüner Wasserstoff steht dabei im Mittelpunkt, jedoch sind übergangsweise auch andere Wasserstoffvarianten denkbar.

Zahlreiche Verbände und Institutionen haben zur Fortschreibung Stellung genommen. Grundtenor: Die Überarbeitung sei ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Klimaziele, komme aber teils zu spät und die Umsetzung müsse beschleunigt werden. Kritik gibt es vor allem daran, dass die Potenziale des in Deutschland zu erzeugenden grünen Wasserstoffs nicht ausgeschöpft und fossile Quellen sowie Importe eine zu hohe Akzeptanz erfahren würden. Wir fassen eine Auswahl der Meinungen, Bedenken und Begehrlichkeiten zusammen. Der komplette Wortlaut der Stellungnahmen ist jeweils hinterlegt und per Klick abrufbar.

VDMA: Wasserstoffwirtschaft nicht isoliert betrachten

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) fordert, den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft zu beschleunigen. Zwar biete die Überarbeitung auch dem mittelständischen Maschinen- und Anlagenbau „gute Chancen, sein Wissen und sein Können etwa im Bau und Betrieb von Elektrolyseuren einzubringen“, sagt Peter Müller-Baum, Leiter VDMA Power-to-X for Applications. Allerdings müsse die Anpassung „nun mit hoher Geschwindigkeit umgesetzt werden“.

Die Wasserstoffwirtschaft dürfe man nicht isoliert betrachten, sondern sei „mit anderen Elementen der Energiewende sinnvoll“ zu verschmelzen. Man sehe „mit Sorge“, dass das Bundeswirtschaftsministerium „eine Politik der kleinteiligen Regulierung“ verfolge, statt auf marktwirtschaftliche Freiheiten und Technologieoffenheit zu setzen. „Das wird in der Praxis nicht funktionieren und auch den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft behindern.“

DUH: Chance für grünen Wasserstoff verpasst

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert es als Versäumnis, bei der Energiewende nicht stärker auf Wasserstoff aus nachhaltigen Quellen zu setzen. Mit der Strategie verpasse die Ampel-Regierung „die Chance, grüne Technologien beim Umbau der Energiesysteme klar zu priorisieren“. Die Aufnahme von fossil-blauem Wasserstoff in das Papier sei „ein massiver klimapolitischer Rückschritt“.

Die Bundesregierung hätte deutliche Richtlinien vorgeben müssen, allein auf grünen Wasserstoff als saubere grüne Technologieoption umzustellen. „Stattdessen werden nun Investitionen und sogar Fördergelder in blauen Wasserstoff aus fossilen Quellen gelenkt, die für die Investition in grünen Wasserstoff fehlen“, bemängelt die DUH. Dies befähige die Gaswirtschaft, weiteres fossiles Erdgas zu fördern. „Der Ausstieg aus fossilem Erdgas wird so auf Kosten des Klimaschutzes aufgeschoben.“

FZ Jülich: Sinnvoller Pragmatismus

Das Forschungszentrum Jülich (FZ Jülich) bewertet die Neuerungen in der NWS positiv. Interessant sei, „dass die heimische Erzeugung von Wasserstoff gestärkt werden“ solle, sagt Peter Wasserscheid, Gründungsdirektor des Instituts für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW). Die vorgesehene Steigerung der Wasserstoffverfügbarkeit durch Erhöhung der heimischen Elektrolysekapazität sowie Importe sei „ein starkes Signal“.

Ein Wasserstoff-Startnetz mit Pipelines von mehreren Tausend Kilometern Länge sei „wichtig, weil so ein Wasserstoffabsatzmarkt entsteht und die Erzeuger und Importhäfen mit den großen Verbrauchern im Land verbunden werden können“. Neben grünem auch grauen oder blauen Wasserstoff zu akzeptieren, sei „sinnvoller Pragmatismus“. Dies ermögliche „mit vertretbaren Nebenwirkungen den schnelleren Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft, solange es nicht genügend grünen Wasserstoff gibt“.

PtX-Allianz: Wichtige Bausteine fehlen

Die Power-to-X-Allianz begrüßt die Anpassung ausdrücklich, meint aber, „dass wichtige Bausteine fehlen und der Strategie nun dringend Taten folgen müssen“. Eine „pragmatische und mit zusätzlichen Finanzmitteln untermauerte Fördersystematik“ müsse die Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff und PtX-Produkten „in der Breite der Anwendungen“ ermöglichen. Benötigt werde „schnellstmöglich eine klare Importstrategie“, die Importkanäle öffne und den Ausbau der Infrastrukturen forciere. Hierbei sei zu beachten, „dass eine Perspektive für Wasserstoff- und PtX-Anwendungen in allen Sektoren gesichert“ werde und keine neuen Abhängigkeiten entstünden.

Begrüßenswert sei die Anhebung des Ziels heimischer Elektrolysekapazität. Der forcierte Ausbau des Wasserstoffnetzes sende ein Signal, den Aufbau klimaneutraler Geschäftsmodelle entschieden anzugehen. „Grüner Wasserstoff ist ein zentraler Baustein für eine klimaneutrale Wirtschaft. Doch genauso wichtig sind daraus hergestellte Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol oder eSAF“, sagt Verbandssprecherin Melanie Form. Damit diese Produkte eingesetzt werden könnten, müssten sie „schnellstmöglich zu einer breit verfügbaren, bezahlbaren und weltweit gehandelten Ware werden“. Die skizzierten Maßnahmen dazu ließen indes „zentrale Bausteine vermissen“.

Wasserstoffrat: Nicht nur auf Leuchtturmprojekte setzen

Der Nationale Wasserstoffrat (NWR) sieht in der Fortschreibung einen „wichtigen Meilenstein, dass die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie ambitioniert“ fortsetze. Wasserstoff habe „eine immense industrie- und technologiepolitische Bedeutung“, sagt die NWR-Vorsitzende Katherina Reiche. „Nur mit Wasserstoff können wir Wertschöpfungsketten erhalten und dafür sorgen, dass Schlüsselindustrien in Deutschland bleiben.“ Die Transformation hin zu klimaneutraler Produktion und internationaler Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und des industriellen Mittelstandes hänge „von der ausreichenden Verfügbarkeit von Wasserstoff und seinen Derivaten zu wettbewerbsfähigen Konditionen ab“. Unternehmen investierten nur dann, wenn sie langfristige Planungssicherheit haben.

Der „Inflation Reduction Act“ der USA und ähnliche Regelungen weltweit würden den Aufbau von umfassenden Wertschöpfungsketten in industriellem Maßstab beschleunigen. „Angesichts der rasanten Fortschritte anderer Staaten sollte sich die Bundesregierung davon verabschieden, ausschließlich auf Leuchtturmprojekte zu setzen.“ Wichtiger sei, „effektive Anreize für die schnelle Skalierung der Wasserstoffwirtschaft und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zu schaffen“. Für eine erfolgreiche Wärmewende werden aus Sicht des NWR alle Technologieoptionen, Wärmepumpe, Wärmenetze, erneuerbare Wärme und Wasserstoff benötigt. „Somit sollten alle Technologien als gleichberechtigte Erfüllungsoption im Gebäudeenergiegesetz verankert werden und beim Ausbau der Infrastruktur Berücksichtigung finden.“

LEE NRW: Wasserstoffimporte zu einseitig

Der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE NRW) findet den Entwurf „enttäuschend“. Er setze zu „einseitig auf Wasserstoffimporte statt auf die heimischen Potenziale auf Basis erneuerbarer Energien“. Zwar sei eine Erhöhung der Elektrolysekapazität vorgesehen. Auch die „Problematik übermäßiger Abhängigkeit bei Energieimporten“ werde erkannt, allerdings ziehe der NWS-Entwurf die falsche Konsequenz: „Anstatt den Fokus auf die heimische Wasserstofferzeugung zu legen setzt die Bundesregierung weiterhin schwerpunktmäßig auf teure Importe per Schiff“, so Geschäftsführer Christian Mildenberger. Damit bleibe die NWS „der falschen Annahme treu, dass es nur geringe heimische Potenziale zur Wasserstofferzeugung“ gebe.

Auch der LEE NRW gehe davon aus, dass künftig Importe von Wasserstoffmengen notwendig seien. „Doch kurzfristig sollten die heimischen Potenziale prioritär erschlossen werden.“ Hinsichtlich der Ausbauziele im Wind- und Solarenergiesektor werde „es bereits vor 2030 immer wieder zu Situationen kommen, in denen die Stromerzeugung die Nachfrage deutlich übersteigt“. Hierfür gelte es die entsprechende Elektrolysekapazität aufzubauen. Die Produktionskosten von Wasserstoff in Deutschland lägen unter den Kosten des Imports per Schiff. Überdies solle der Fokus auf der Produktion von grünem Wasserstoff liegen anstatt blauen klimaschädlicheren Wasserstoff zu fördern.

FNB Gas: Kernnetz noch dieses Jahr beginnen

Die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) fordert „mehr Tempo“ beim Wasserstoffkernnetz. „Wir müssen noch in diesem Jahr mit dem Aufbau beginnen”, fordert Thomas Gößmann, Vorstandsvorsitzender FNB Gas. Man hoffe auf die Klärung des Investitionsrahmens und „ein rechtzeitiges Inkrafttreten der Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes im Herbst als notwendige Rechtsgrundlage“.

Die weiteren Ausbaustufen des Wasserstoffnetzes, die die zukünftigen Wasserstoffbedarfe berücksichtigen, seien im Rahmen einer gesetzlich verankerten integrierten Netzentwicklungsplanung Wasserstoff und Gas „schnellstmöglich auf den Weg zu bringen”. Die Strategie setze insgesamt wichtige Leitplanken für einen „zügigen Aufbau der nationalen Wasserstoffinfrastruktur und für ihre Einbettung in ein europäisches Netz“.

MEW: Nicht ambitioniert genug

Nach Auffassung des Verbandes der Mittelständischen Energiewirtschaft Deutschland (MEW) sei die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie zwar ein „wichtiger Baustein für den Hochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft“. Allerdings bleibe das Papier an vielen Stellen „wenig konkret und nicht ambitioniert genug“. In den Ausbau der Infrastruktur müssten auch bestehende Tanklager einbezogen werden, „denn sie weisen vor allem für die Speicherung von flüssigen Wasserstoffderivaten enorme Vorteile auf und können somit den Investitionsbedarf in Infrastrukturprojekte reduzieren“. Auch freien und mittelständischen Tankstellen komme „eine zentrale Rolle“ insbesondere für Nutzfahrzeuge zu.

Die Anhebung der heimischen Elektrolysekapazität wird begrüßt, doch greife der Zeitrahmen für die erhöhte Prognose für den Bedarf für Wasserstoff und dessen Derivate zu kurz: „Unternehmen brauchen Investitionssicherheit über 2030 hinaus bis Mitte des Jahrhunderts, da anderenfalls notwendige Investitionen ausbleiben“, so der Verband.

Die angekündigte Importstrategie sei „von enormer Wichtigkeit“, müsse „zügig erarbeitet“ werden und „einen geografisch breit gestreuten Import“ anstreben. Der MEW befürworte den technologieoffenen Ansatz. Der Fokus liege zwar weiterhin auf grünem Wasserstoff, jedoch werden auch blauer, türkiser und orangener Wasserstoff gefördert. Zudem sollten neue Förderinstrumente den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft „deutlich stärker ankurbeln als bisher vorgesehen“, jedoch „wesentlich schneller und unbürokratischer“ nutzbar sein.

Wuppertal Institut: Zaghaft und unvollständig

Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH sieht grünen Wasserstoff und seine Derivate als „essentielle Bausteine für die klimaneutrale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft“. Die Bundesregierung solle „das Ambitionsniveau bei der heimischen Wasserstoffproduktion“ anheben und prüfen, inwieweit sich die Elektrolyse-Ausbauziele noch steigern ließen. Dies gelte umso mehr, da sich die anvisierte heimische Wasserstoffproduktion von 30 bis 50 Prozent des Bedarfs mit der geplanten Elektrolyseleistung kaum erreichen lassen dürfte. Hierfür bedürfe es Anlagenauslastungen, wie sie auf der Basis von Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland nicht erzielbar sind; zumindest, wenn die Elektrolyseure wie geplant ihre systemdienliche Funktion wahrnehmen sollen.

Basierend auf den Erfahrungen hinsichtlich der Verletzlichkeit von Lieferketten sollte eine gut abgestimmte europäische Wasserstofferzeugung den verstärkten Aufbau inländischer Kapazitäten ergänzen. Die Bundesregierung solle sich bei Bezügen aus Übersee vor allem auf Derivate fokussieren. Begrüßenswert sei, den Aufbau internationaler Wasserstoff-Partnerschaften mit einer sozial-ökologischen Gesellschafts- und Wirtschaftstransformation in den Lieferländern zu verknüpfen. Wie die Bundesregierung dem konkret nachkommen wolle, bleibe bisher noch offen, „ist aber für die dauerhafte gesellschaftliche Akzeptanz und eine nachhaltige Entwicklung entscheidend“.

Offene Fragen gebe es auch in vielen anderen angekündigten Bereichen, von der Importstrategie, über ein Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz bis hin zum Speicherkonzept. „Hier muss die Bundesregierung nun zeitnah und konkret nachliefern.“ Es sei richtig, dauerhaft nur auf grünen Wasserstoff zu setzen und „den Beitrag von blauem beziehungsweise türkisem Wasserstoff nur auf den absolut nötigen Umfang für den Hochlauf zu begrenzen“. Der Einsatz grünen Wasserstoffs solle zumindest in der Hochlaufphase auf die wirklich nötigen Anwendungen fokussiert werden, etwa die Stahl- und Chemieproduktion sowie die Stromerzeugung sowie gegebenenfalls auf den Schwerlastverkehr.

Ein breiter Einsatz von Wasserstoff in Gebäuden und im Straßenverkehr sei hingegen „ineffizient und kostenintensiv“ und sollte aufgrund „der absehbaren physischen Knappheiten von Wasserstoff nach heutigem Kenntnisstand nicht verfolgt werden“.

DWV: Wasserstoffunion initiieren

Der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband e.V. (DWV) appelliert an die Bundesregierung, „ein konkretes Marktdesign für die Erzeugung, Anwendung und den Transport von grünem Wasserstoff“ zu schaffen. Es sei „unabdingbar zu wissen, wann, woher und in welchen Mengen Wasserstoff nach Deutschland importiert werden“ könne.

Der Verband begrüße zwar das Update der Nationalen Wasserstoffstrategie, doch werde der Kabinettsbeschluss von der Wasserstoffbranche als „zu unkonkret und zu unambitioniert kritisiert“. Die in der NWS enthaltenen Prüfaufträge für weitere Maßnahmen reichten nicht aus, „um den bevorstehenden Herausforderungen und dem internationalen Wettbewerb gerecht zu werden sowie die wirtschaftlichen Chancen des Wasserstoffhochlaufs optimal zu nutzen“. Der DWV fordert die Bundesregierung auf, eine „europäische Wasserstoffunion zu initiieren, damit Europa seinen Wasserstoffbedarf in naher Zukunft größtenteils selbst decken“ könne.

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Die jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie wird erwartungsgemäß kontrovers bewertet. © EBRD

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