(Berlin) – Das Bundeskabinett hat die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) beschlossen. Vorausgegangen war eine politische Einigung der fünf Kernressorts Wirtschaft, Umwelt, Entwicklung, Verkehr und Forschung.

Die bisherige Strategie aus dem Jahr 2020 hat weiterhin Bestand, die darin formulierten Ziele und Aufgaben wurden jedoch an die aktuelle Entwicklung in Sachen Klimaschutz und Energiemarkt angepasst. Um den Markthochlauf zu beschleunigen und die Anwendungsmöglichkeiten auszubauen, hat die Bundesregierung eine Reihe von teils konkreten Vorhaben, teils auch nur vage Pläne zusammengetragen.

Die Bundesregierung hat vier vorrangige Handlungsfelder formuliert. © BMWK; Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie 2023

Die zugrunde liegenden Szenarien sehen demnach für das Jahr 2030 einen neu entstehenden Wasserstoffbedarf in Deutschland von 40 bis 75 Terawattstunden (TWh), der nach 2030 stark ansteige. Hinzu komme der bestehende, heute durch grauen Wasserstoff gedeckte Bedarf von rund 55 TWh. Das Papier geht für das Jahr 2030 somit von einem Gesamtbedarf von 95 bis 130 TWh aus, womit die bisherigen Schätzungen (90 bis 110 TWh) nach oben verschoben wurden. Darin enthalten sind auch Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol oder synthetischen Kraftstoffen.

Erzeugung von Wasserstoff in Deutschland

Einen besonderen Fokus legt die Bundesregierung auf den Ausbau der inländischen Elektrolysekapazität im industriellen Maßstab. Ziel ist die Verdopplung von bisher geplanten fünf Gigawatt auf zehn Gigawatt (GW) bis 2030. Um dies zu erreichen, sei unter anderem bereits das Förderbudget für die ersten Wasserstoffprojekte im Rahmen des „IPCEI Wasserstoff“ aufgestockt worden. Noch in diesem Jahr sollen die beihilferechtlichen Genehmigungen zur Erteilung von Förderbescheiden für Elektrolyseprojekte mit einer installierten Gesamtleistung von rund 2,5 GW erlassen werden.

RWE will am Kraftwerksstandort Lingen eine Druck-Alkali-Anlage von Sunfire als ist eine von zwei Elektrolysearten testen. Die Gesamtanlage mit 14 Megawatt Leistung soll im Herbst in Betrieb gehen © RWE

Überdies würden in den Jahren 2023 bis 2028 jährlich 500 Megawatt (MW) installierter Elektrolyseleistung „von systemdienlich erzeugtem grünem Wasserstoff“ ausgeschrieben sowie Anreize für Investitionen in Elektrolyseure im Umfang von mindestens zwei Gigawatt für Anwendungen im Verkehrsbereich geschaffen werden, um insbesondere grauen durch grünen Wasserstoff in Raffinerien zu ersetzen, den Energieträger direkt in Brennstoffzellen-Fahrzeugen sowie bei der Herstellung von E-Fuels zu nutzen.

Im Zuge des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) seien schon dezentrale Vorhaben im Umfang von 60 MW Elektrolyseleistung zur Belieferung von Wasserstofftankstellen bewilligt worden. Für dieses Jahr sei ein zusätzlicher Förderaufruf für weitere 40 MW geplant. Mittelfristig sollen Förderprogramme überarbeitet und Technologien vorangebracht werden.

Importstrategie Wasserstoff

Die heimischen Erzeugungspotenziale für Wasserstoff und Derivate sind begrenzt. Nach Einschätzung der Bundesregierung werden von dem für 2030 prognostizierten Bedarf rund 50 bis 70 Prozent (45 bis 90 TWh) durch Importe gedeckt. Dieser Anteil steige in den Jahren nach 2030 weiter an.
Um den dauerhaften Importbedarf an dem nachhaltigen Energieträger zu sichern, werde eine „Importstrategie Wasserstoff“ ausgearbeitet. Ziel ist es, „breit diversifizierte Importkanäle zu erschließen und neue Abhängigkeiten zu vermeiden“, heißt es in dem Dokument.

Der Transport von Flüssigwasserstoff per Schiff ist zwar eine Option. Studien zufolge sei allerdings nicht absehbar, bis wann ausreichend große Flotten für die Kommerzialisierung zur Verfügung stehen. © Hyundai Motor Group

Der Import erfolge laut NWS bis 2030 großteils per Schiff, etwa in Form von Ammoniak. Auch Importe von grünem Methan, synthetischem Methanol, LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier) und flüssiger Wasserstoff könnten mittel- bis langfristig eine Rolle spielen. Hierbei würden verschiedene nachhaltige Transportwege beachtet, unter anderem die Schaffung grüner Korridore verfolgt, und der zunehmende Einsatz grüner Kraftstoffe für Schiffsimporte angestrebt. Zu berücksichtigen seien dabei auch die Vorlaufzeiten für die Beschaffung von Schiffen. Nach 2030 soll der pipelinebasierte Import von grünem Wasserstoff stärker ausgebaut werden. Ziel für Europa sei neben dem Aufbau eines EU-weiten Wasserstoffnetzes insbesondere die Erzeugung von grünem Wasserstoff in EU-Mitgliedstaaten mit ausreichendem Potenzial für erneuerbare Energien.

Die an der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie beteiligten Bundesressorts verkünden am Bundeskanzleramt in Berlin ihren Kabinettsbeschluss vor Pressevertretern. © BMZ / Janine Schmitz

Zur Förderung der außereuropäischen Importe und zur Unterstützung des globalen Markthochlaufs wurde bereits zu Beginn der Legislatur die Stiftung „H2Global“ gegründet. Diese organisiert zwei voneinander getrennte Auktionen. Zuerst wird ermittelt, welcher Exporteur den niedrigsten Preis zur Lieferungen von grünem Wasserstoff ausruft. In einem zweiten Schritt wird die eingekaufte Menge unter den interessierten Abnehmern versteigert. Die Unternehmen mit dem höchsten Gebot erhalten den Zuschlag. Die Differenz zwischen höherem Ankaufspreis und niedrigerem Verkaufspreis („Contracts for Difference“, CfD) wird durch den Bund ausgeglichen. Die erste Ausschreibungsrunde war bereits im Dezember 2022 veröffentlicht worden, die ersten Lieferungen sind für Ende 2024 vorgesehen.

Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur

Für den Markthochlauf sei auch ein zügiger Aufbau einer Terminal-, Netz-, Tank- und Speicherinfrastruktur für Wasserstoff unerlässlich. Dies umfasse vor allem ein nationales Wasserstoffnetz, das in der Lage ist, die künftigen Verbraucher in Deutschland mit den Erzeugungs- und Importstandorten zu verbinden. Jüngst hatten die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber erste Pläne für das künftige Wassertoff-Kernetz vorgestellt.

Ein Teil der jetzt veröffentlichten Pläne zur NWS-Fortschreibung hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck bereits bei einer so von ihm genannte „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“ im Januar 2022 vorgestellt. © BMWi

Für einen schnellen Aufbau sollten insbesondere bestehende Erdgastransportleitungen genutzt werden. Bis 2030 könnten laut NWS mehr als 1.800 Kilometer umgestellter und neu gebauter Wasserstoffleitungen in Deutschland zur Verfügung stehen. Europaweit werden 4.500 Kilometer angestrebt, davon 3.000 Kilometer durch umgenutzte bisherige Erdgasleitungen. Ab 2030 solle dann das deutsche Wasserstoffnetz mit EU-Nachbarstaaten über ein erstes europäisches Wasserstoffnetz (European Hydrogen Backbone) verbunden sein.

Den Häfen komme hierbei eine besondere Bedeutung zu. Wo eine leitungsgebundene Versorgung nicht möglich ist, solle der Transport über den Seeweg, die Schiene und Straßen geprüft werden.

Importe aus Drittstaaten

Während der Ausbau eines europäischen Wasserstoff-Kernnetzes insbesondere einer grenzüberschreitenden Infrastruktur bedarf, müsse der Fokus bei Kooperationen mit außereuropäischen Staaten insbesondere auf dem beschleunigten Aufbau von auf Wasserstoff umrüstbaren Importterminals sowie auf dem Ausbau der Transportinfrastruktur in Häfen an den deutschen Küsten liegen.

Geplante Terminals für Flüssiggas (LNG) sollten so errichtet werden, dass sie „H2-ready“, also mit geringem wirtschaftlichem Aufwand für die Anlandung von Wasserstoffderivaten und Transportmedien geeignet sind. Zudem müssten weitere Terminals nur für Wasserstoff oder dessen Derivate gebaut werden.

Anwendungsgebiete etablieren

Ob vermehrt Wasserstoff genutzt wird, hänge insbesondere von seiner ausreichenden Verfügbarkeit sowie der preislichen Attraktivität gegenüber Alternativoptionen ab. „Solange und soweit Wasserstoff ein knapper und teurer Rohstoff und Energieträger ist, dürfte der Fokus auf Anwendungen liegen, bei denen eine direkte Elektrifizierung ökonomisch nicht sinnvoll ist oder für die keine alternativen technischen Lösungen zum Erreichen der Klimaneutralität bestehen.“

Daher sieht die NWS den Einsatzbereich von Wasserstoff bis 2030 insbesondere in der Industrie sowie in Brennstoffzellen des Verkehrssektors oder bei der Produktion erneuerbarer Kraftstoffe. Im Stromsektor trage Wasserstoff durch auf klimaneutrale Gase umrüstbare Gaskraftwerke („H2-ready“) zur Energieversorgungssicherheit bei.

Wärmesektor: Keine breite Anwendung bis 2030

Zwar sehe man im Wärmebereich bis 2030 noch „keine breite Anwendung“, doch solle auch „die Umnutzung von Gasverteilnetzen auf Wasserstoff sowie der Einsatz dezentraler H2-Kessel rechtlich und technisch ermöglicht werden“. Ein direkter Wasserstoffeinsatz in der Raumwärme werde außer in Pilotprojekten erst nach 2030 relevant.

Die Nutzung von Wasserstoffkesseln oder Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) mit Wasserstoffanlagen könne in Gebäuden, an denen kein Wärmenetz anliegt und in denen sich Wärmepumpen nicht effizient betreiben lassen, aber eine „notwendige Technologieoption darstellen“; insbesondere dann, wenn in der Nachbarschaft Wasserstoffgroßabnehmer stehen und es ein ausreichendes Angebot zu niedrigen Preisen gebe.

Perspektivisch würden die Rahmenbedingungen bei der Wärmeversorgung aktuell im Gebäudeenergiegesetz, in der Wärmeplanung sowie im europäischen Gasmarktpaket weiterentwickelt.

Geeignete Rahmenbedingungen

Der Markthochlauf erfordere geeignete nationale, europäische und möglichst auch internationale Rahmenbedingungen wie effiziente Planungs- und Genehmigungsverfahren, einheitliche Standards und Zertifizierungssysteme sowie ausreichend ausgestattete und auf allen Ebenen koordinierte Verwaltungen. Erzeugungskapazitäten sowie Speicher-, Tank- und Transportinfrastruktur müssten zügig und bedarfsgerecht ausgebaut werden. Genehmigungsverfahren etwa für die Errichtung von Wasserstofftankstellen würden vereinfacht und digitalisiert.

Deutsche Entwickler bieten Leittechnologie

Die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS 2023)“ gibt es kostenfrei als PDF (34 Seiten).

Wasserstofftechnologien „Made in Germany“ würden international nachgefragt. Daher bestehe die Notwendigkeit des Fachkräfteaufbaus auch für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Es werde unter anderem ein Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität wasserstoffnaher Berufe entwickelt, einschließlich einer übergreifenden Initiative für MINT-Fachkräfte. Dies beinhalte neben langfristigen auch kurzfristige (Umschulung, Weiterbildung) und mittelfristige Maßnahmen wie Förderung der universitären Ausbildung sowie Einwanderung von Fachkräften. Speziell Wasserstoff-Nachwuchskräfte aus den Hochschulen würden unterstützt und ein internationaler Nachwuchskräfte-Austausch angeboten.

Ziel der NWS sei „eine zuverlässige Versorgung Deutschlands mit grünem Wasserstoff“, so das Bundeswirtschaftsministerium. Der Weltmarkt für Wasserstoff müsse „fair sein und damit anders als es die fossile Weltwirtschaft je war“, sagt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze.
Unklar bleibt indes, wie viel Staat und Unternehmen für die Umstellung auf Wasserstoff finanziell aufwenden müssen. Experten rechnen vage mit einem Investitionsbedarf von vielen Milliarden Euro.

Anmerkung der Redaktion: Die in den letzten Tagen zahlreich bekundeten Meinungen, Bedenken und Begehrlichkeiten seitens der Wirtschaft und von Verbänden fassen wir in einem gesondertem Beitrag zusammen.

Foto
Paul-Löbe-Haus / © Deutscher Bundestag, Simone M. Neumann