(Berlin) – „Die schnellste und günstigste Möglichkeit, ein europaweites Wasserstoffnetz zu etablieren, ist die Umstellung bestehender Erdgasleitungen, unterstützt durch den gezielten Neubau weniger Wasserstoffleitungen.“ Denn vorhandene Leitungen seien „grundsätzlich für den sicheren Transport von Wasserstoff geeignet und können von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden“. Zu diesem Ergebnis kommt ein Papier zu den Transportoptionen und -bedingungen von Wasserstoff, das der Nationale Wasserstoffrat (NWR) jüngst beschlossen hat.

So sei die Umstellung einer Erdgasfernleitung im Südwesten der Niederlande bereits demonstriert worden. Dabei wurden einzelne, nicht für die Verwendung in Wasserstoffnetzen geeignete Komponenten – etwa Mess- und Regelanlagen oder auch Verdichter – ausgetauscht und die umzustellende Leitung auf ihre Tauglichkeit überprüft. „Weiter gehende technische Maßnahmen, wie das Anbringen einer Innenauskleidung, sind für die Transportanwendung nicht erforderlich.“ Für die auszutauschenden Komponenten, insbesondere die Verdichter, seien bereits etablierte Lösungen vorhanden und würden kontinuierlich weiterentwickelt.

Höhere Fließgeschwindigkeit ermöglicht nahezu identische Energietransportkapazität

Zwar habe Wasserstoff auf das Volumen bezogen einen geringeren Brennwert als Erdgas. Aufgrund der auch geringeren Dichte von Wasserstoff seien allerdings in den Fernleitungen höhere Fließgeschwindigkeiten möglich, sodass eine auf Wasserstoff umgestellte Erdgastransportleitung bei ansonsten gleichen Bedingungen 80 bis 90 Prozent der ursprünglichen Energietransportkapazität sicherstellen könne. „Somit können Wasserstoffleitungen die aus dem Erdgastransport bekannte hohe Energietransportkapazität von circa acht bis zehn Mal der Energietransportkapazität einer Stromleitung realisieren.“

An das überregionale Transportnetz angeschlossene, unterirdische Wasserstoffspeicher flankieren als saisonale Speicher das System und ermöglichen die zeitliche Entkopplung von Erzeugung und Verbrauch. In Deutschland gebe es derzeit 51 unterirdische Erdgasspeicher, in denen mit 230 Terawattstunden etwa 30 Prozent des derzeitigen deutschen Jahresverbrauches an Erdgas gespeichert werden können. Zusätzliche geeignete geologische Formationen wie Salzkavernen für Wasserstoffspeicher existierten an verschiedenen Orten in Deutschland.

Kleiner Mengen lassen sich per Lkw transportieren

Kleinere Mengen Wasserstoffs könnten flexibel über Lkw-Trailer, größere Mengen per Fernleitung oder Schiff transportiert werden. Dabei sei im europäischen Umfeld für Distanzen von bis zu rund 10.000 Kilometer der Wasserstofftransport selbst in neu gebauten Pipelines die wirtschaftlichste Option. Für einen solchen leitungsgebundenen Transport ermittelt die Studie zum „European Hydrogen Backbone“ (EHB) spezifische Transportpreise von circa 0,16 Euro pro Kilogramm je 1.000 Kilometer Transportweg bei nahezu vollständig ausgelasteten Fernleitungen.

Wie berichtet, hatte die Initiative EHB erst im April eine aktualisierte Version ihrer Pläne für eine Wasserstoff-Transportinfrastruktur in ganz Europa präsentiert. Die Gruppe, bestehend aus Netzbetreibern, schlägt vor, ein Wasserstoffnetz mit einer Gesamtlänge von 39.700 Kilometer bis zum Jahr 2040 zu errichten. Das Netz würde dann 21 europäische Länder verbinden. Die vorhergehende Version von Juli 2020 beschrieb ein Netz von 23.000 Kilometer für zehn Länder. Die in der EHB-Studie ermittelten Transportpreise basierten auf einem signifikanten Anteil umgestellter Erdgasleitungen im geplanten System. Da diese Leitungen bereits bestünden, reduziere ihre Verwendung die Systemkosten, beschleunige die Realisierung, vermeide entsprechende Umwelteingriffe und erhöhe somit die gesellschaftliche Akzeptanz, heißt es in dem NWR-Papier.

Erdgasverteilnetze auf lokaler Ebene seien in weiten Teilen dazu geeignet, ein Erdgas-Wasserstoff-Gemisch oder reinen Wasserstoff zu transportieren. Die im Verteilnetz eingesetzten Leitungswerkstoffe (niedriglegierte Stähle, Kunststoffe wie PE und PVC) besäßen grundsätzlich die entsprechende Materialverträglichkeit. Andere Netzbestandteile wie zum Beispiel Armaturen müssten nach den Regeln der Technik für den konkreten Einsatz bewertet werden. „Die Wasserstoffqualität ist beim Transport in umgestellten Erdgasfernleitungen grundsätzlich gesichert“, so der Nationale Wasserstoffrat.

Alternativ zum Transport von verdichtetem Wasserstoff könne dieser verflüssigt werden, um die Energiedichte weiter zu erhöhen. Zudem sei die Umwandlung von Wasserstoff in Ammoniak möglich. Auch das in der jüngeren Vergangenheit entwickelte Transportmedium LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier), das unter Freisetzung von Wärme Wasserstoff aufnehmen und bei Zuführung von Wärme wieder freigebe, sei geeignet. Das Trägermedium werde im Anschluss wasserstofffrei zurück an den Ursprungsort gebracht. Überdies biete Methanol als Transportmedium für Wasserstoff „zahlreiche Einsatzmöglichkeiten“ und habe gegenüber Ammoniak sogar Vorteile. Es liege bei atmosphärischem Druck in flüssiger Form vor und besitze eine wesentlich geringere Toxizität. „Der Transport ist nahezu problemlos – auch in Pipelines – möglich.“

Dem Problem der Versprödung von Stählen sind Wissenschaftler auf der Spur

Befürchtungen, dass die durch Wasserstoff versursachte Versprödung der üblicherweise in Gasfernleitungen eingesetzten Stähle den Transport beeinträchtigten, will der NWR pauschal nicht folgen. Analysen hätten gezeigt, „dass die im Bereich von Erdgasleitungen und -anlagen verwandten Stähle grundsätzlich tauglich für den Einsatz mit Wasserstoff sind und die Dimensionierung sowie Auslegung der Leitung für die Nutzung mit Wasserstoff bestätigt werden kann“.

Überdies ist die Forschung in diesem Bereich sehr aktiv. Wie berichtet, haben dieser Tage Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung GmbH (MPIE) und ihre Kollegen von der Tsinghua University China sowie der Norwegian University of Science and Technology einen Beitrag zu diesem Thema in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Demnach haben die Forscher einen Weg gefunden, durch Implementieren von manganreichen Abschnitten in die Mikrostruktur des Stahls Risse abzustumpfen und somit die Rissausbreitung zu stoppen

Das Papier des Nationalen Wasserstoffrates gibt es kostenfrei als PDF (zehn Seiten) unter
https://www.wasserstoffrat.de/fileadmin/wasserstoffrat/media/Dokumente/NWR_Wasserstofftransport_WEB-Bf.pdf

Foto oben
Schweisser bei der Arbeit an einer neuen Ferngasleitung in der Lausitz © Ontras Gastransport GmbH

Foto Mitte
Plan eines europäischen H2-Backbones für 2040 / © Guidehouse