(Berlin) – Die neue Bundesregierung steht – und hat am Mittwochnachmittag den Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP präsentiert. Die 178 Seiten umfassende Vereinbarung sieht auch Initiativen in Sachen Wasserstoff vor, welche mutmaßlich im neuen Super-Ministerium „Klima und Wirtschaft“ unter Führung der Grünen umgesetzt werden sollen. „Nach der Corona-Pandemie braucht Deutschlands Wirtschaft einen neuen Aufbruch. Dafür muss die öffentliche Hand Impulse setzen und faire Rahmenbedingungen national und im europäischen Binnenmarkt schaffen“, heißt es unter dem Titel „Wirtschaft“. Man wolle „mehr Innovation, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Effizienz, gute Arbeit und klimaneutralen Wohlstand. Dafür brauchen wir ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen und mehr Tempo.“

Dazu gehört auch, den Energieträger Wasserstoff stärker in den Fokus zu nehmen. Denn der Industrie komme eine zentrale Rolle bei der Transformation der Wirtschaft mit Blick auf Klimaschutz und Digitalisierung zu. „Wir werden die Innovations-, Investitions- und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie stärken, um weiter Hochtechnologieland zu bleiben.“ Die Koalition will sich für die Gründung einer Europäischen Union für grünen Wasserstoff einsetzen und die IPCEI („Important Projects of Common European Interest“) für Wasserstoff schnell umsetzen sowie Investitionen in den Aufbau einer Wasserstoffnetzinfrastruktur finanziell fördern.

Nationale Wasserstoffstrategie überarbeiten

Darüber hinaus, so die neuen Regierungspartner, wolle man „bis 2030 Leitmarkt für Wasserstofftechnologien werden und dafür ein ambitioniertes Update der nationalen Wasserstoffstrategie erarbeiten“. Neben dem Ausbau der Infrastruktur würden die Ziele zur Elektrolyseleistung „deutlich erhöht“, europäische und internationale Klima- und Energiepartnerschaften für klimaneutralen Wasserstoff und seine Derivate würden vorangetrieben und Quoten für grünen Wasserstoff in der öffentlichen Beschaffung eingeführt, um Leitmärkte zu schaffen. „Wir fördern in Deutschland die Produktion von grünem Wasserstoff.“ Im Interesse eines zügigen Markthochlaufs würden zukunftsfähige Technologien auch dann gefördert, wenn die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff noch nicht ausreichend sichergestellt sei, heißt es in dem Papier. „Wir wollen den Einsatz von Wasserstoff nicht auf bestimmte Anwendungsfelder begrenzen. Grüner Wasserstoff sollte vorrangig in den Wirtschaftssektoren genutzt werden, in denen es nicht möglich ist, Verfahren und Prozesse durch eine direkte Elektrifizierung auf Treibhausgasneutralität umzustellen.“

Wasserstoff wird auch unter dem Punkt „Start-up-, Gründungs- und Innovationsförderung“ erwähnt. Demnach solle ein vereinfachter Zugang für Start-ups und junge Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen geschafffen werden sowie die Voraussetzungen für flächendeckende „One Stop Shops“, also Anlaufstellen für Gründungsberatung, -förderung und -anmeldung. Die staatliche Förderbank KfW soll stärker als Innovations- und Investitionsagentur sowie als Co-Wagniskapitalgeber wirken – insbesondere auch für Wasserstoffprojekte.

Infrastruktur für Gas und Wasserstoff

Eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff sei „eine Voraussetzung für die europäische Handlungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit“ im 21. Jahrhundert. „Wir beschleunigen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken.“ Die bis zur Versorgungssicherheit durch erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke müssten so gebaut werden, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden könnten. „Erdgas ist für eine Übergangszeit unverzichtbar.“

Wasserstoffstrategie wird fortgeschrieben

Die nationale Wasserstoffstrategie wird 2022 fortgeschrieben. Ziel ist ein schneller Markthochlauf. Erste Priorität habe die einheimische Erzeugung auf Basis erneuerbarer Energien. Für einen schnellen Hochlauf und bis zu einer günstigen Versorgung mit grünem Wasserstoff setze man auf eine technologieoffene Ausgestaltung der Wasserstoffregulatorik.

„Wir wollen den Aufbau einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft und die dafür notwendige Import- und Transportinfrastruktur möglichst schnell vorantreiben.“ Die Elektrolysekapazität von rund zehn Gigawatt soll im Jahr 2030 erreicht sein. Dazu seien auch ein Zubau von Offshore-Windenergie sowie europäische und internationale Energiepartnerschaften erforderlich, außerdem ein engagierter Aufbau der notwendigen Infrastruktur. „Dafür werden wir die notwendigen Rahmenbedingungen einschließlich effizient gestalteter Förderprogramme schaffen und insbesondere auch die europäische Zusammenarbeit in diesem Bereich stärken.“

Zertifizierung von Wasserstoff in Europa erforderlich

Beim Import von Wasserstoff würden die klimapolitischen Auswirkungen beachtet und „faire Wettbewerbsbedingungen für unsere Wirtschaft“ sichergestellt. Erforderlich sei auf europäischer Ebene eine einheitliche Zertifizierung von Wasserstoff und seiner Folgeprodukte sowie die Stärkung von europäischen Importpartnerschaften. „Wir werden das IPCEI Wasserstoff zusammen mit den Bundesländern schnell umsetzen und Investitionen in den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur fördern.“

Programme wie H2Global würden europäisch weiterentwickelt und entsprechend finanziell ausgestattet. Im Rahmen des Klimaschutz-Sofortprogramms würden die Planungs- und Genehmigungsverfahren für eine schnellere Realisierung von Strom- und Wasserstoffnetzen beschleunigt. Eine europäische digitale Infrastruktur, ein gemeinsames Eisenbahnnetz, eine Energieinfrastruktur für erneuerbaren Strom und Wasserstoff sowie Forschung und Entwicklung auf dem Niveau der Weltspitze „sind Voraussetzungen für die europäische Handlungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit“.

Bilaterale und regionale Beziehungen

Um die Ukraine weiter bei der Wiederherstellung voller territorialer Souveränität zu unterstützen, strebe die neue Bundesregierung eine Vertiefung der Energiepartnerschaft mit dem Land an, „mit starken Ambitionen in den Bereichen erneuerbare Energie, Produktion von grünem Wasserstoff, Energieeffizienz und CO2-Reduktion“. Auch mit Russland werde man stärker bei den Zukunftsthemen wie zum Beispiel Wasserstoff zusammenarbeiten.

Erneuerbare Energien mehr fördern

Um mehr grünen Wasserstoff in Deutschland zu produzieren, müssen auch die Ressourcen für die Produktion von Ökostrom erheblich ausgeweitet werden. So sieht der Koalitionsvertrag etwa vor, die Photovoltaik von derzeit knapp 60 Gigawatt bis 2030 auf etwa 200 Gigawatt (GW) auszubauen. Auch Vergütungssätze seien entsprechend anzupassen und „alle Hürden und Hemmnisse für den Ausbau erneuerbarer Energien“ müssten aus dem Weg geräumt werden.

Für die Windenergie an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden. Die Kapazitäten für Windenergie auf See werden auf mindestens 30 GW 2030, 40 GW 2035 und 70 GW 2045 gesteigert. Die Beteiligung von Standort- und Nachbarkommunen an der Wertschöpfung für Freiflächen-Photovoltaik- und Onshore-Windkraft-Anlagen soll auf Bestandsanlagen ausgedehnt und für Neuanlagen verpflichtend werden. „Wir prüfen finanzielle Instrumente, um die Akzeptanz in vom Übertragungsnetzausbau betroffenen Kommunen zu erhöhen.“

Deep Link
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

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Aufbau des Weinachtsbaumes vor dem Reichstag: Die neue Regierung könnte noch vor dem Fest ihre Arbeit aufnehmen. © Deutscher Bundestag / Henning Schacht