(Bremervörde) – Im niedersächsischen Bremervörde haben 14 Züge mit Brennstoffzellenantrieb den regulären Passagierbetrieb aufgenommen. Einige davon versorgen nun die Strecke Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude im Stundentakt. Die Fahrzeuge des Typs „Coradia iLint“ wurden in der deutschen Niederlassung des französischen Herstellers Alstom SA in Salzgitter gebaut.

Eigentümerin ist die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG), ein dem Bundesland gehörendes Unternehmen. Auch die Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB) sowie der britische Hersteller von Industriegasen Linde plc sind an dem Projekt beteiligt.

Vom Probebetrieb zur regionalen Versorgung

Die LNVG hatte sich den Angaben zufolge bereits 2012 auf die Suche nach Alternativen zu den bislang eingesetzten Dieselzügen gemacht. Nach Verhandlungen mit Alstom gab es dann ab September 2018 in Norddeutschland einen knapp zweijährigen Probebetrieb mit zwei wasserstoffbetriebenen Vorserienzügen.

Heute sei dies die weltweit erste Strecke, auf der Brennstoffzellenzüge „regelmäßig verkehren können“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil in Bremervörde. Nach Angaben von Bernd Althusmann, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, habe sein Ministerium die Kosten für die Beschaffung der 14 Fahrzeuge in Höhe von über 85 Millionen Euro übernommen. Das Bundesverkehrsministerium gab im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie weitere 8,4 Millionen Euro hinzu, sodass sich das Projektvolumen auf mehr als 93 Millionen Euro beläuft.

Tankstelle bei Bremervörde

Bereits im August 2020 hatte Linde nahe des Bahnhofs Bremervörde mit dem Bau einer Wasserstofftankstelle begonnen. Heute umfasst die Anlage vierundsechzig 500-bar-Hochdruckspeicher mit einer Kapazität von insgesamt 1.800 Kilogramm, sechs Wasserstoffverdichter und zwei Zapfsäulen.

Schon beim Bau wurden Erweiterungsflächen eingeplant. So sei „eine spätere Wasserstofferzeugung vor Ort mittels Elektrolyse und regenerativ erzeugtem Strom“ möglich. Erst dann nämlich ist der Betrieb tatsächlich ökologisch. Linde erhielt für die Tankstelle Fördermittel des Bundes in Höhe von 4,3 Millionen Euro.

Die Reichweite einer Tankfüllung liegt bei 1.000 Kilometern. Damit können die Triebzüge einen Tag lang mit Tempo 80 bis 120 emissionsfrei im Netz der EVB fahren. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 140 Stundenkilometer.

Die Regionalbahnen ersetzen 15 Dieselzüge und sollen pro Jahr 1,6 Millionen Liter des konventionellen Kraftstoffs einsparen. Ein Kilogramm Wasserstoff ersetzt nach Alstom-Angaben ungefähr 4,5 Liter Dieselkraftstoff.

Alstom verkauft, Siemens plant

Alstom hat bereits in einer Reihe von anderen Ländern seine Wasserstoffzüge im Probebetrieb auf den Schienen oder zumindest etliche Testphasen abgeschlossen, darunter in Österreich. Schon im November 2020 schloss der Fahrzeugbauer einen Vertrag mit dem Eisenbahnunternehmen FNM in der norditalienischen Region Lombardei zur Lieferung von sechs Coradia iLint.

Im Jahr darauf verkündete der spanische Energieversorger Iberdrola S.A., man wolle mit einem internationalen Konsortium dazu beitragen, die italienische Apenninen-Bahn auf grünen Wasserstoff umzustellen. Die Züge sollen einst das italienische Hinterland zwischen Sansepolcro (Arezzo) und Sulmona (L’Aquila) auf einer mehr als 300 Kilometer langen Strecke verbinden.

Währenddessen bemühen sich derzeit die Siemens Mobility GmbH und die Deutsche Bahn AG um die Entwicklung eines eigenen Fahrzeugs, genannt „Mireo Plus H“. Dieses soll im nächsten Jahr Testfahrten in Baden-Württemberg zwischen Tübingen und Pforzheim absolvieren. Ab 2024 will man den Zug ein Jahr lang im regulären Fahrgastbetrieb einsetzen.

Digitalisierung im regionalen Passagierverkehr

Im Juni hatte Alstom überdies „die nächste Phase“ eines Forschungsprojekts „Automatisiert fahrende Regionalzüge in Niedersachsen“ verkündet. Im Rahmen einer Kooperation wollen der Zugbauer, LNVG, die TU Berlin und das Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Lösungen entwickeln, „um den Schienenpersonenverkehr in Deutschland schrittweise zu digitalisieren“. Das Projekt soll über das Europäische Zugbeeinflussungssystem ETCS die Möglichkeiten im Regionalverkehr ausloten.

Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen stellt zwei Regionalzüge zur Verfügung. Während das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) das Forschungsprojekt zur Automatisierung unterstützt, finanziert das niedersächsische Wirtschaftsministerium die Ausrüstung der beiden Versuchsfahrzeuge mit 5,5 Millionen Euro.

Automatisierung mit Signalerkennung

Für die Versuche in Niedersachsen werden neue Systeme für den automatisierten Betrieb entwickelt. Dazu gehört die Signalerkennung, um die an der Strecke aufgestellten Verkehrszeichen der Bahn erkennen und interpretieren zu können, heißt es bei Alstom.

Zudem müsse der Zug Hindernisse wahrnehmen. Im Störungsfall werde der Zug ferngesteuert oder vom Zugbegleiter geführt. Außerdem werde ermittelt, ob der vorhandene regulatorische Rahmen für den automatischen Betrieb (ATO) anzupassen sei.

Alstom testet bereits Züge in anderen Ländern

In einer zweiten Phase müsse das automatisierte Fahren soweit wie möglich unter realen Bedingungen erfolgen. Alstom hat eigenen Angaben zufolge „bereits mit Versuchszügen in anderen Ländern gezeigt, dass automatisiertes Fahren und die Fernsteuerung von Zügen technisch umgesetzt werden“ könne.

Laut Müslüm Yakisan, Präsident der Region DACH bei Alstom, sei das Unternehmen zudem an „mehreren weiteren laufenden Automatisierungsprojekten für den deutschen Regionalverkehr“ beteiligt. So werde man beispielsweise im Rahmen der Leuchtturmprojekte Stuttgart 21 und Digitaler Knoten Stuttgart S-Bahn- und Regionalzüge im Großraum Stuttgart auf ETCS-Technologie umrüsten.

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Die LNVG besitzt nun 14 Coradia iLint, die im Netz der EVB mit Wasserstoff angetrieben werden. © Alstom

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Regionalzug Coradia iLint. © Alstom

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