(Darmstadt / Potsdam) – Die Umsetzung der Klimaschutzziele ist eine zentrale Aufgabe der nächsten Bundesregierung. Dabei komme dem Thema Wasserstoff eine „grundlegende politische Bedeutung zu“, heißt es in einer Analyse, die im Rahmen des Kopernikus-Projekts „Ariadne“ erstellt wurde. Eine Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler der TU Darmstadt haben untersucht, inwiefern sich unterschiedliche Positionen zu Wasserstoff in den Parteiprogrammen zur Bundestagswahl 2021 widerspiegeln. In der Studie werden vier Aspekte betrachtet: Erzeugung, Nutzung, Importe sowie Infrastruktur.

CDU/CSU

Hinsichtlich der Produktion strebe die Union primär die Erzeugung von grünem Wasserstoff an, wolle aber auch blauen Wasserstoff „übergangsweise akzeptieren“. Es bestehe ein Bedarf an internationalen Kooperationen für Wasserstoffimporte. Als potenzielle Anwendungsfelder werden Industrie sowie Schiff- und Schwerlastverkehr genannt, Flugverkehr, Individualverkehr oder Wärmeversorgung nicht. die Transportinfrastruktur solle auf Basis vorhandener Erdgasleitungen aufgebaut werden.

SPD

Im Programm der SPD werde Wasserstoff „als eine Bedingung für Klimaneutralität im Jahr 2045 genannt“. Die Partei betrachte Wasserstoff als grünen Wasserstoff, allerdings würden Farben „nicht explizit erwähnt“. Zum Wasserstoffimport fanden die Autoren im Wahlprogramm keine Angaben. Allerdings werde in einem Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion („Eckpunkte einer nachhaltigen Wasserstoffstrategie“) die heimische Produktion als Priorität genannt, doch sollten internationale Kooperationen zusätzlich gefördert werden. Das Wahlprogramm sehe „allgemein die Anwendungsfelder dort, wo eine Elektrifizierung nicht möglich“ sei, betone das Positionspapier „Wasserstoff als Perspektive für alle Sektoren Industrie, Verkehr und Wärme“. Zudem plane die SPD, den Ausbau von Wasserstoffleitungen zu beschleunigen und befürworte eine Beimischung von Wasserstoff in das Erdgasnetz, so die Analyse

AfD

Die Alternative für Deutschland erachte in ihrem Wahlprogramm den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft über den derzeitigen Stand hinaus für unnötig, heißt es in der Untersuchung. „Zu Erzeugung, Import, Nutzung und Infrastruktur werden daher keine näheren Aussagen getroffen.“

FDP

Die FDP benennt in ihrem Wahlprogramm „Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe neben Strom als zweite Säule des Energiesystems“. Außer grünen Wasserstoff wollten die Freien Demokraten hierfür auch auf blauen sowie türkisen Wasserstoff für den Markthochlauf setzen. Zudem werde eine „Europäische Wasserstoffunion“ vorgeschlagen, „die im Rahmen einer neuen Nachbarschaftspolitik mit der Nord- und Ostseeregion, dem Nahen Osten, Afrika sowie Russland Wasserstoffimportbeziehungen fördern soll“. Eine politische Begrenzung des Nutzungsspektrums werde von der Partei abgelehnt und Technologieoffenheit befürwortet, „um Potenziale für Wasserstoff in Industrie, Mobilität und Wärme realisieren zu können“. Die Ausgestaltung der Infrastruktur werde nicht konkretisiert.

Die Linke

Die Linke betrachte Wasserstoff als „eine neue Säule der Energiewende“. Im Vordergrund stehe grüner Wasserstoff, alles andere schließe die Partei explizit aus. Dies gelte auch für importierten Wasserstoff. Importe aus Ländern des „globalen Südens“ wolle man der Untersuchung zufolge nur zulassen, „wenn diese ihren eigenen Energiebedarf vollständig durch erneuerbare Energien decken“. Die Potenziale von Wasserstoff sehe die Linke in Bereichen, die nicht zu elektrifizieren seien, und schließe „die Nutzung im Individualverkehr und der Gebäudewärme aus sozialen und ökonomischen Gründen aus“. Schienenverkehr und Busse würden allerdings als mögliche Anwendungsbereiche genannt. Als Besonderheit fanden die Autoren des Hintergrundpapiers, dass „die Förderung von Wasserstoff in der Stahl- und Grundstoffindustrie an die Sozialisierung des Betriebseigentums“ zu binden sei. Staatliche Hilfen solle „es nur mit demokratischer Kontrolle und im Gegenzug zu öffentlichen Eigentumsanteilen“ geben. Zur Infrastruktur gebe es keine Hinweise im Wahlprogramm.

Bündnis 90/Die Grünen

Das Bündnis wolle Wasserstoff nur in seiner grünen Variante produziert und importiert sehen. Für Importe sollten zudem soziale Kriterien gelten, die mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen in Einklang stünden. Die Nutzung solle politisch begrenzt werden. Wasserstoff sei nur dort einzusetzen, „wo er wirklich gebraucht wird“, etwa in der Industrie sowie im Flug- und Schiffsverkehr, „aber nicht in anderen Bereichen der Mobilität sowie der Wärmeerzeugung“. Genehmigungen für fossile Infrastrukturen (Erdgasleitungen und -kraftwerke) sollten nur befristet zugelassen werden und nur dann, wenn sie „Wasserstoff-ready“ konzipiert seien. „Infrastrukturen, die ausschließlich für fossiles Gas genutzt werden können“, seien nicht mehr zuzulassen.

Wasserstoff im Licht der Koalitionsmöglichkeiten

Gegenüber der letzten Wahl sei das Thema Wasserstoff in den Wahlprogrammen 2021 bei den Parteien angekommen, resümieren die Autoren des Hintergrundpapiers. Der Energieträger werde „von fast allen Parteien als wichtiges Element für die Transformation des Energiesystems gesehen“. Lediglich die AfD lehne seine Nutzung über das bisherige Niveau ab, „allerdings im Kontext einer Ablehnung der Energiewende im Allgemeinen“. Auf Basis der herausgearbeiteten Positionen erstellten die Autoren dann acht plausible Koalitionskonstellationen. Dabei weise etwa eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD „hinsichtlich ihrer Wasserstoff-Präferenzen in den betrachteten Kategorien die höchste Übereinstimmung“ auf. Lediglich hinsichtlich der Erzeugung gebe es unterschiedliche Positionen. Zwar favorisierten die Parteien grünen Wasserstoff, doch wolle die Union auch blauen Wasserstoff akzeptieren. Insgesamt werde die nächste Regierungskoalition „nicht unerheblich darüber entscheiden, welche Zielperspektive beim Thema Wasserstoff gewählt werden“. Die energiepolitische Richtung der kommenden Bundesregierung würde die Weichen dafür stellen, „ob Wasserstoff mittel- und langfristig eher zum Champagner oder zum Tafelwasser der Energiewende avanciert“, lautet ein Fazit der Autoren.

Das Hintergrundpapier beschreibt allerdings nur die Optionen, die sich aus den programmatischen Positionen der möglichen Koalitionspartner in unterschiedlichen Konstellationen ergeben. Man gehe „natürlich nicht davon aus, dass das Thema Wasserstoff im Einzelnen über die Bildung oder das Nichtzustandekommen einer bestimmten Koalition entscheiden“ werde. „Allerdings sollte es möglich sein zu zeigen, welche Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie bei welcher Koalition sich abzeichnet.“

Michèle Knodt, Jörg Kemmerzell, Lucas Flath (alle TU Darmstadt): „Champagner oder Tafelwasser der Energiewende – Wie weiter mit dem Wasserstoff in der nächsten Bundesregierung?“. Kostenfrei als PDF (20 Seiten, Oktober 2021, siehe Deep Link).

Deep Link
www.ariadneprojekt.de/publikation/champagner-oder-tafelwasser-der-energiewende-wasserstoff-bundesregierung/

Informationen zum Kopernikus-Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und Ariadne
www.kopernikus-projekte.de
www.ariadneprojekt.de

Grafik
Kopernikus-Projekte © Sapera / FZ-Jülich / BMBF