(Berlin) – Ein paralleler Ausbau von Wasserstoff- und Stromnetzen könnte erneuerbare Energien besser in die Industriezentren Europas bringen und zudem jährlich bis zu 70 Milliarden Euro einsparen. Ein „klug geplantes Wasserstoffnetz“ könne zu fast 70 Prozent aus vorhandenen Gasleitungen gebaut werden. Auch ohne jeglichen Ausbau der Übertragungsnetze wäre die Energiewende hin zu erneuerbaren Energiequellen ohne Energieimporte möglich. Zu diesen Ergebnisse kommt einer Analyse von Wissenschaftlern der TU Berlin und der Universität Aarhus.

Vier Szenarien untersucht

„In unserer Studie haben wir vier verschiedene Netzausbauszenarien für ein CO2-neutrales europäisches Energiesystem betrachtet: den ausschließlichen Ausbau des Stromnetzes, den alleinigen Aufbau eines Wasserstoffnetzes, den Ausbau beider Netze sowie den Fall, dass keinerlei Ausbau der Netzinfrastruktur stattfindet“, sagt Fabian Neumann vom Fachgebiet „Digitaler Wandel in Energiesystemen“ der TU Berlin. In allen vier Fällen wäre eine Energiewende hin zur ausschließlichen Versorgung mit Hilfe von erneuerbaren Energien machbar. „Unsere Analyse zeigt außerdem, dass zwischen 64 und 69 Prozent eines zukünftigen Wasserstoffnetzes sinnvoll aus umgerüsteten Erdgasleitungen entstehen könnten, was Kosten spart.“

Würde man nahezu vollständig auf erneuerbare Energiequellen umsteigen und dafür ausschließlich das Stromnetz in Europa ausbauen, könnte man gegenüber dem Szenario mit heutigem Netz sechs bis acht Prozent der gesamten Kosten für die Energieversorgung in Europa einsparen. Die Einsparungen ergäben sich vor allem daraus, dass die günstigsten Standorte für die Stromerzeugung aus Wind und Sonne genutzt würden, der Strom auf dem direkten Weg an die dicht besiedelten Industriezentren mit hohem Verbrauch heranzuführen wäre und auch örtliche Schwankungen der Winderzeugung ausgeglichen würden. „Irgendwo in Europa weht fast immer der Wind“, erklärt Neumann. Hinzu kommt: Echte Dunkelflauten sind immerhin großräumig betrachtet eher selten bis unwahrscheinlich.

Umwandlung des Gasnetzes für Wasserstoff

Würde man nur das Gasnetz in ein Wasserstoffnetz umwandeln und einige zusätzliche neue Wasserstoffleitungen bauen, wären Einsparungen von zwei bis drei Prozent der Gesamtkosten für das Energiesystem in Europa möglich. Dieser gegenüber dem erstgenannten Szenario geringere Effekt beruhe darauf, dass für die Herstellung von grünem Wasserstoff der Strom aus Windkraft und Solaranlagen genutzt werde, der sonst direkt ins Stromnetz eingespeist werden könne. Durch diesen zusätzlichen Umwandlungsschritt ergäben sich Energieverluste, sofern der Wasserstoff nicht sowieso weiterverarbeitet oder längerfristig in Salzkavernen gespeichert wird.

Strom sei demgegenüber flexibler einsetzbar, zum Beispiel auch für den Betrieb von Wärmepumpen oder Elektroautos. „Am vorteilhaftesten wäre eine Kombination aus dem Ausbau von Strom- und Wasserstoffnetz“, erklärt Fabian Neumann. Geschickt kombiniert, wären so Einsparungen von bis zu zehn Prozent möglich. „Das Stromnetz müsste sich hierfür allerdings immer noch in etwa verdoppeln“, so die Studie. „Jedoch könnte dies mit höherer gesellschaftlicher Akzeptanz geschehen, wenn stark umstrittene Stromtrassen gegebenenfalls mit Hilfe des Wasserstoffnetzes umgangen werden könnten.“ Eine Einsparung von zehn Prozent entspräche etwa 70 Milliarden Euro pro Jahr in Europa.

Europäische Energiewende koordinieren

Es werde immer wichtiger, den Ausbau von Energieinfrastruktur länder- und sektorenübergreifend zu koordinieren, betont Neumann. „Um Klimaneutralität kosteneffizient zu erreichen, müssen die Standorte von Energieerzeugung, -transport, -umwandlung und -speicherung integriert geplant werden, da sie stark voneinander abhängen.“ Dies ist eine zentrale Forderung der Forscher an die Politik.

Länder des südlichen Europas wie Spanien, Italien und Griechenland würden als Exporteure von Solarstrom oder Wasserstoff in die europäischen Industrieregionen sehr von gut ausgebauten Netzen profitieren. Genauso könnten auch Anrainer der Nord- und Ostsee mit einer guten Netzanbindung auf Energieexporte aus Offshore-Windparks setzen.

„Allerdings wäre es für Länder mit einer hohen Kapazität an erneuerbaren Energien auch eine Option, verstärkt energieintensive Industrien durch niedrige Energiepreise anzuwerben.“ Sie hätten dann wenig Ambitionen für den Netzausbau. Die verschiedenen Interessen sollten so miteinander vereinbart werden, dass alle von der Transformation des Energiesystems profitierten.

Die Studie „The potential role of a hydrogen network in Europe“ gibt es kostenfrei auf Englisch als PDF (75 Seiten)

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„Irgendwo in Europa weht immer der Wind“: Eine Studie sieht in der Kombination des Ausbaus der Netze für Strom- und Wasserstoff erhebliche Vorteile für das Vorankommen der Energiewende (Bild: 26-MW-Windpark „Altenbruch 2“ der Cuxhavener PNA AG) © PNA AG