(Berlin) – Der Bedarf an Wasserstoff in Deutschland wird künftig die heimische Produktion übersteigen. Ein hoher Anteil muss daher importiert werden. Darin sind sich bisher alle mit dem Thema Befassten einig. Die Arbeitsgruppe des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) hat nun die Möglichkeiten des Transports von Wasserstoff und seinen Derivaten per Schiff und Pipeline nach Deutschland untersucht und die Ergebnisse jetzt im Rahmen einer Studie veröffentlicht.
Die Autoren fragten unter anderem, welche Möglichkeiten des Imports es überhaupt gibt, mit welchen Kosten zu rechnen ist und welcher Handlungsbedarf zum Aufbau einer Transportinfrastruktur bis 2030 besteht. Zwar sei es „grundsätzlich unerheblich, wie der Wasserstoff hergestellt wird“, doch setzt die Analyse den Schwerpunkt auf grünen Wasserstoff, „um dessen Relevanz für den Umbau des Energiesystems sowie die zu erreichende Klimaneutralität“ herauszustellen.
Import von Ammoniak per Schiff sofort möglich
Den Wissenschaftlern zufolge könne der Import grünen Ammoniaks, das insbesondere in der Chemie- und Düngemittelindustrie benötigt wird, per Schiff „unmittelbar“ starten. Es gebe bereits bestehende Strukturen, die Umsetzung bei ausreichend vorhandenem grünen Wasserstoff wäre in rund zwei Jahren möglich.
Ammoniak sollte dann jedoch „direkt als Syntheseprodukt genutzt werden, ohne den gebundenen Wasserstoff wieder zu extrahieren, denn dies wäre energetisch ineffizienter und teuer“, sagen die Forscher. Der Stoff könne dann den Import von konventionellem Ammoniak oder einen Teil des heimisch erzeugten fossilbasierten Ammoniaks ersetzen und wäre 2030 wirtschaftlich konkurrenzfähig. Sollten über die derzeitigen Importe hinaus deutlich größere Mengen nach Deutschland eingeführt werden, um sie zum Beispiel auch als Wasserstoffträger einzusetzen, wären die vorhandenen Importinfrastrukturen entsprechend zu erweitern, was bis 2030 indes „nicht vollumfänglich realisierbar erscheint“.
Wasserstofftransport in Pipelines bis 4.000 Kilometer
Ein zeitnaher Import von reinem Wasserstoff wäre möglich, wenn bestehende Erdgaspipelines für gasförmigen Wasserstoff umgerüstet würden. „Bei effizienter Planung und schneller Durchführung“ sowie einem parallelen Aufbau der notwendigen Kapazitäten zur Herstellung von Strom aus erneuerbaren Energien im Erzeugungsland“ könnten innerhalb von etwa drei bis fünf Jahren „signifikante Mengen“ nach Deutschland transportiert werden. Für einen vollständigen Neubau einer Wasserstoffpipeline in einer bisher nicht bestehenden Trasse wären hingegen rund acht bis zehn Jahre zu veranschlagen.
Unter Verwendung großer Pipelines sei aus Kostensicht der Transport reinen Wasserstoffs über Distanzen von bis zu 4.000 Kilometern die günstigste aller untersuchten Optionen, die zugleich den höchsten Wirkungsgrad der betrachteten Transportketten aufweise. Herausfordernd sei jedoch, „die Auslastung einer solch großen kostengünstigen Wasserstoffpipeline zu gewährleisten“, denn die Produktion der benötigten Menge bedürfe umfangreicher Elektrolysekapazitäten und einer entsprechend großen Menge erneuerbaren Stroms.
Für eine Pipeline gar mit einer Transportkapazität von täglich 6.000 bis 7.000 Tonnen Wasserstoff (circa 50 Terawattstunden Wasserstoff pro Jahr), die zu und- Gefahr 60 Prozent ausgelastet werde, müssten im Exportland laut Studie etwa 85 Terawattstunden Strom bereitgestellt werden. Das entspreche einer kombinierten Anlagenleistung von Wind- und Photovoltaikanlagen von rund 35 Gigawatt.
Transport von Flüssigwasserstoff per Schiff
Über 2030 hinaus sei zudem der Transport von Flüssigwasserstoff per Schiff „eine valide Option“. Der Import lohne sich wirtschaftlich vor allem bei Strecken von über 4.000 Kilometern, weil beim Schiffstransport die Gesamtkosten mit der Transportdistanz kaum zunähmen. Allerdings sei gegenwärtig „nicht absehbar, bis wann ausreichend große Schiffsflotten für einen kommerziellen Flüssigwasserstofftransport zur Verfügung stehen“.
Auch sei es möglich, den Wasserstoff an ein Trägermedium wie LOHC oder Ammoniak zu binden und ihn dann in Deutschland wieder zu dehydrieren. „Aus Kostensicht erscheinen diese Optionen gegenüber dem Transport mit Flüssigwasserstofftankern allerdings nachteilig.“ Hinzu komme bei beiden Technologien noch „der deutliche Entwicklungs- und Skalierungsbedarf, weshalb von einer zeitnahen Umsetzung nicht auszugehen ist“, meinen die Wissenschaftler.
Exportländer mit Potenzial bei Erneuerbaren
Für die Kooperation mit Exportländern sei es wichtig, dass diese genügend Erneuerbare-Energien-Potenziale haben, „um neben der eigenen Defossilisierung auch Wasserstoffexporte realisieren zu können“. Zudem seien mögliche Konflikte um Ressourcen zu berücksichtigen – etwa hinsichtlich der Flächenverfügbarkeit oder der Wasserversorgung.
Die Arbeitsgruppe hat exemplarisch sechs Exportländer untersucht. Als Kriterien für die Länderanalyse dienten einerseits die lokalen Bedingungen für erneuerbare Energien, die Energie-, Produktions- und Exportinfrastrukturen sowie Fortschritte bei der Defossilisierung des Energiesystems. Andererseits werden die Beispielländer danach bewertet, ob sie bereits Handelspartnerschaften mit Deutschland aufgebaut haben, ihre Wirtschaft exportorientiert ausgerichtet ist und ob in der Gesellschaft eine Bereitschaft vorhanden ist, Wasserstoffprojekte zu unterstützen.
Einer Auflistung zufolge stehen Spanien und die Ukraine als potenzielle Exportländer unter Kostengesichtspunkten ganz oben. So liege der Transport von gasförmigem grünem Wasserstoff per Pipeline aus Spanien bei etwa 7 bis 13 Cent pro Kilowattstunde, aus der Ukraine bei 6,5 bis 12,5 Cent. Die Kosten eines aus fossilem Strom in Deutschland hergestellten Produkts lägen bei 8 bis 11 Cent. Darüber hinaus wurden Importrouten von Marokko, Saudi Arabien, Südafrika und Brasilien untersucht.
Wirtschaftliche und rechtliche Herausforderungen
Für einen schnellen und erfolgreichen Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft seien den Angaben zufolge nicht nur technische, sondern auch wirtschaftliche und rechtliche Herausforderungen zu bewältigen. Für den Aufbau ganzer Importketten – von der Erzeugung über den Transport bis zur Verteilung – seien sehr hohe Investitionen erforderlich. „Um diese Summen anzureizen, bedarf es eines verlässlichen ökonomischen Rahmens, der die Nutzung grüner synthetischer Energieträger im Vergleich zu fossilen Energieträgern wettbewerbsfähig werden lässt und langfristig Investitionssicherheit bietet“, heißt es in der Studie.
Für die Herausbildung eines grenzüberschreitenden Wasserstoffmarktes müsse allerdings sichergestellt sein, dass die Anforderungen an grünen Wasserstoff und dessen Syntheseprodukte in den jeweiligen Wertschöpfungsketten international tatsächlich eingehalten würden. Dazu gehöre auch der Aufbau von Informations- und Erfassungssystemen. Anfangs sollten Investoren jedoch nicht durch zu hohe regulative Maßnahmen abgeschreckt werden.
Schnellschüsse vermeiden
Die Wissenschaftler halten zwar „einen ambitionierten Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft“ für notwendig. Allerdings seien Schnellschüsse zu vermeiden und man müsse im europäischen und globalen Maßstab denken – auch über 2030 hinaus. Die bis 2030 benötigten Importmengen seien grundsätzlich zu beschaffen, „wenn die richtigen infrastrukturellen, rechtlichen und unternehmerischen Weichen schnell gestellt werden“.
Die Arbeitsgruppe des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) unter Leitung von Frithjof Staiß vom Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) ist eine gemeinsame Initiative der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften e. V. (Acatech), der Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften. Sie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten.
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Der Transport von Flüssigwasserstoff per Schiff ist „eine valide Option“, allerdings sei nicht absehbar, bis wann ausreichend große Flotten für die Kommerzialisierung zur Verfügung stehen, so die Studie. © Hyundai Motor Group
Staiß, F. et al.: „Optionen für den Import grünen Wasserstoffs nach Deutschland bis zum Jahr 2030: Transportwege – Länderbewertungen – Realisierungserfordernisse“. Die Studie gibt es kostenfrei als PDF (128 Seiten).