(Berlin / Deutschland) – In einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestages zur Beschleunigung und der Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf forderte die Mehrheit der Sachverständigen mehr Tempo bei der Verabschiedung und Umsetzung des Gesetzes sowie die Erweiterung des Anwendungsbereiches auf alle für den Aufbau des Wasserstoffkernnetzes notwendigen Maßnahmen. Das Bundeskabinett hatte den Entwurf zum Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz (WasserstoffBG; BT-Drucksache 21/2506) wie berichtet kürzlich verabschiedet. Grundsätzlich einig sind sich die Sachverständigen darin, dass der Wasserstoffhochlauf ein zentrales Element für das Gelingen der Energiewende sei. Der Energieträger sei zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Industrie unabdingbar. Uneinig ist man sich unter anderem darüber, ob das Gesetz sich allein auf grünen Wasserstoff beziehen sollte oder nur allgemein auf „kohlenstoffarmen“.
BDEW: Kohlenstoffarmen Wasserstoff einbeziehen
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) plädiert für ein ambitionierteres Vorgehen als im Regierungsentwurf vorgesehen, um in der Praxis spürbare Beschleunigungen und Verfahrenserleichterungen zu gewährleisten. Der Regierungsentwurf habe einige gute Regelungen des Referentenentwurfs nicht übernommen. So sei es neben einer Beschleunigung auch notwendig, mit weiteren politischen Signalen die aktuell fehlende Wettbewerbsfähigkeit von erneuerbarem und kohlenstoffarmem Wasserstoff herzustellen. „Dazu gehören die signifikante Reduktion der Wasserstoffgestehungskosten, ein ermöglichender Rechts- und Regulierungs- sowie Finanzierungsrahmen für Infrastruktur außerhalb des Wasserstoffkernnetzes und die Schaffung eines Pull-Effekts auf der Nachfrageseite durch einen Förderrahmen und Absicherungsinstrumente. „Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber das Momentum nutzt, um einen breiten Anwendungsrahmen in der aktuellen initialen Phase des Wasserstoffhochlaufs zu schaffen, der die Grundlage für den beschleunigten Aufbau der Wertschöpfungsinfrastruktur darstellt“, sagte Kirsten Westphal, Mitglied der BDEW-Hauptgeschäftsführung. Zudem sei der „Anwendungsbereich zu erweitern“. Dies gelte vor allem für die Berücksichtigung von kohlenstoffarmem Wasserstoff wie die Herstellung aus fossilen Brennstoffen mit nachfolgender Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) oder -nutzung (CCU) sowie die Elektrolyse mit Strom aus Kernenergie. „Kohlenstoffarmer Wasserstoff ist unabdingbar für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und die Transformation des Industriestandortes Europa.“
DIHK: Anwendungsbereich ausweiten
Der Regierungsentwurf enthält nach Auffassung der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) wichtige Erleichterungen für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur. Der Anwendungsbereich erstrecke sich nun auch auf den Import von Methan, die Erzeugung strombasierter Kraftstoffe sowie Wasserstoffleitungen und Einrichtungen, die für den Betrieb von Anlagen oder Leitungen erforderlich seien. Dadurch könne ein größerer Teil der Wasserstoffinfrastruktur von den Verfahrenserleichterungen profitieren. Den Vorhaben sollten bis 2045 uneingeschränkt ein überragendes öffentliches Interesse eingeräumt werden – unabhängig vom Anteil der eingesetzten erneuerbaren Energien. „Der Anwendungsbereich sollte auf alle Zulassungsverfahren von Vorhaben deutlich ausgeweitet werden, die Wasserstoff oder seine Derivate herstellen, speichern, transportieren oder verwenden“, meint Hauke Dierks, DIHK-Referatsleiter Umwelt- und Rohstoffpolitik. „Also alle mit dem Hochlauf der Wasserstoffinfrastruktur verbundenen Vorhaben.“ Außerdem sollten die Beschleunigungsverfahren für Sonderregelungen wie Fristverkürzungen, Zentralisierung sowie Digitalisierung von Verfahrensschritten für alle Genehmigungsverfahren für Wasserstoffprojekte in das Gesetz aufgenommen werden.
FNB: Erdgasversorgung weiterhin sichern
Die im WasserstoffBG vorgesehenen Maßnahmen bezögen sich aktuell lediglich auf Neubauleitungen aber nicht auf die Umstellung von Leitungen von Erdgas auf Wasserstoff und auch nicht auf erdgasverstärkende Maßnahmen, kritisiert die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB). Geschäftsführerin Barbara Fischer bemängelte, der Gesetzentwurf berücksichtige „nicht oder ungenügend Regelungsinhalte, die insbesondere für den Aufbau des Wasserstoffkernnetzes wichtig sind“. Der Gesetzgeber müsse die Erweiterung des Anwendungsbereiches „stringent auf alle für den Aufbau des Wasserstoffkernnetzes notwendigen Maßnahmen“ ausweiten. Trotz der Umstellung der Leitungen von Erdgas auf Wasserstoff sei die Versorgung im verbleibenden Erdgasnetz auch zukünftig sicherzustellen. Daher müssten Anschlüsse einer umzustellenden Gasleitung, die Kunden weiterhin beliefere, „erst über eine andere Leitung an das Gasnetz angebunden werden, um die Umstellleitung für den Wasserstofftransport freizumachen. „Diese Maßnahmen müssen zwingend vor der Umstellung durchgeführt werden.“
OGE: Politik muss positive Signale senden
Der Anwendungsbereich des Gesetzes sollte derart erweitert werden, dass er den Aufbau aller Wasserstoffinfrastrukturen in der Hochlaufphase beschleunigt ermöglicht, fordert der Fernleitungsnetzbetreiber Open Grid Europe GmbH (OGE). Dazu gehöre zwingend, auch Anlagen mit Bezug zu kohlenstoffarmem Wasserstoff ausdrücklich einzubeziehen. „Nur wenn sämtliche Wasserstoff-Infrastrukturen in den Anwendungsbereich des WasserstoffBG fallen, ist sichergestellt, dass sämtliche Optionen für den Hochlauf gleichberechtigt ihr Potenzial ausschöpfen können.“ Andre Brauner, Leiter der OEG-Abteilung Liegenschafts- und Planungsrecht, sagt: „Über die Beschleunigung hinaus sind weitere politische Signale nötig, um einen wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarkt entstehen zu lassen.“ Brauner verlangte „Instrumente und Regulatorik, die sinkende Erzeugungskosten und einen starken Nachfrageimpuls ermöglichen“. Außerdem brauche es „die Förderung der Anwendung in der Industrie und eine ambitionierte Kraftwerksstrategie“. Außerhalb des Wasserstoffkernnetzes fehle es an Anreizen für die Bereitstellung von Speicherkapazitäten, einem Rahmen für Wasserstoffverteilnetze sowie zur Entwicklung von Importkorridoren und -terminals. Und auch bei der Weiterentwicklung des Wasserstoffkernnetzes bedürfe es Nachbesserung im zugrunde gelegten Finanzierungsmechanismus.
IGE: Rahmenbedingungen verbessern
Das Gesetz sei ein zwar wichtiger, aber nicht hinreichender Baustein für eine Beschleunigung des Wasserstoffhochlaufs, heißt es in der Stellungnahme der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG. Mario Ragwitz, Institutsleiter und Koordinator für Entwicklung, Transport und Speicherung von Wasserstoff (Transhyde), wies darauf hin, dass aktuell die Umsetzung vieler Projekte zur Wasserstoffnutzung aufgrund einer mangelnden Wirtschaftlichkeit stocke. Der vorliegende Gesetzentwurf baue zwar hemmende Faktoren des Wasserstoffhochlaufs ab, vor allem bei Erzeugung und Infrastrukturen. „Mindestens ebenso wichtig ist es aber auch, dass zusätzlich fördernde Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Nachfrage zu stimulieren.“ Die Wasserstoffnutzung in der Stahlerzeugung, der Chemie und bei Hochtemperatur-Anwendungen erfordere einen CO2-Preis von deutlich mehr als 200 Euro pro Tonne und sei somit ohne gezielte Instrumente mittelfristig nicht wirtschaftlich. „Daher ist die zentrale Voraussetzung für den Hochlauf der Wasserstoffnutzung die stringente und fokussierte Förderung einzelner, strategisch relevanter Nachfragesegmente“. Zudem sehe man einen großen „Handlungsbedarf in den Themenfeldern Normung und Standardisierung von Wasserstofftechnologien, die für einen schnellen Markthochlauf von Wasserstoff entlang der gesamten Wertschöpfungskette relevant ist“.
BVkom: Regierung hat kein Gesamtkonzept
Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (BVkom) kritisiert, dass einzelne Verfahrensfristen zu knapp bemessen und in der Praxis angesichts der bestehenden Personalengpässe nicht sachgerecht zu realisieren seien. „Es darf nicht eintreten, dass die formelle Prüfung von Vorhaben und deren umweltrechtliche Auswirkungen wegen zu kurzer Verfahrensfristen untergraben wird.“ Fristverkürzungen und Fiktionen stellen nicht zwangsläufig ein geeignetes Mittel dar, um Verfahrensabläufe zu beschleunigen, sondern könnten Fehler und Nacharbeit auch befördern. „Auch bei der Digitalisierung bestehen weiterhin erhebliche Diskrepanzen zwischen politischem Anspruch und tatsächlicher Umsetzung.“ Auf kommunaler Ebene stellt insbesondere die Besetzung offener Stellen ein dauerhaftes Problem dar. Der Bund müsse ein einheitliches „Ende-zu-Ende“ digitalisiertes Verfahren anbieten. BVkom-Referent Klaus Ritgen kritisierte, „dass es an einem Gesamtkonzept des Bundes zur Energiewende fehlt“. Auch dieser Gesetzentwurf stelle letztlich nur ein Stückwerk in einer Vielzahl von kleinteiligen Gesetzen dar. Notwendig sei stattdessen, die verschiedenen Aspekte einer von erneuerbaren Energien getragenen Energiewende zusammenzubringen, Wertschöpfung vor Ort zu erhalten, Akzeptanz zu schaffen und die zentralen Funktionen der Kommunen zu berücksichtigen. Grundlegende Herausforderungen für den Wasserstoffhochlauf blieben bestehen. Es bedürfe insbesondere ausreichender finanzieller Mittel und Finanzierungsmechanismen, um die nationale Wasserstoffstrategie erfolgreich umsetzen zu können.
DNR: Umstellung auf grünen Wasserstoff sichern
Der Gesetzentwurf ziele vor allem darauf ab, die Infrastruktur zu beschleunigen. Mit dem „überragenden öffentlichen Interesse“ sollen dabei demokratische Beteiligungsrechte reduziert und Umweltstandards abgeschwächt werden, meint der Deutsche Naturschutzring (DNR). „Als Umweltverbände kritisieren wir diesen Ansatz deutlich, da lange Planungszeiten ganz überwiegend an zu dünn besetzten Genehmigungsstellen liegen.“ Statt verkürzten Prüfverfahren müsse in die Personalausstattung investiert werden. Zudem solle der Staat „für Produzenten und Abnehmer eine Zuverlässigkeit schaffen“. Alexander Kräß, DNR-Referent für Klima- und Energiepolitik, kritisiert, ein überragendes öffentliches Interesse könne insbesondere dann nicht gegeben sein, wenn das Gesetz sowohl grünen als auch fossilen Wasserstoff fördere. „Hier braucht es konkrete Maßnahmen, um eine komplette Umstellung auf grünen Wasserstoff mittel- und langfristig zu gewährleisten“.
GWS: Ohne grünen H2 keine Dekarbonisierung
„Ohne grünen Wasserstoff wird es keine Energiewende und keine Dekarbonisierung der Wirtschaft geben“, sagte Anke Mönnig, stellvertretende Bereichsleiterin der Abteilung Wirtschaft und Soziales bei der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS). Die Investitionen in grüne Wasserstofftechnologien könnten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern schaffen. Es seien „weitere Maßnahmen zu ergreifen, um einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf zu ermöglichen wie beispielsweise die Schaffung grüner Leitmärkte“.
Den Wortlaut der Stellungnahmen der Verbände findet man auf der Internetseite des Deutschen Bundestages.
Foto
Reichstagsgebäude in Berlin: In einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestages nahmen Verbandsvertreter Stellung zum Regierungsentwurf des Wasserstoff-Beschleunigungsgesetzes. © Deutscher Bundestag / Edgar Zippel




