(Paris / Frankreich) – Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und das britische Unternehmen Frazer-Nash Consultancy haben unter der Bezeichnung „Invictus“ ein gemeinsames Forschungsprogramm ins Leben gerufen, um das Konzeptdesign für eine Hyperschall-Plattform zu entwickeln. Die Technologie soll dazu dienen, einst ein wiederverwendbares experimentelles Luft- und Raumfahrtfahrzeug zu entwickeln, das horizontal von einer Startbahn abhebt und mit Mach 5 (fünfmal schneller als Schall) fliegen kann.

Technologische Herausforderungen

Eine der größten Herausforderungen beim Betrieb eines Hyperschallfahrzeugs bestehe laut ESA darin, dass bei hohen Geschwindigkeiten aufgrund von Stoßerwärmung und Oberflächenreibung die Außenfläche des Flugzeugs und die in die Triebwerke eintretende Luft extrem heiß würden. Diese Bedingungen erforderten spezielle Technologien sowie einzigartige Antriebssysteme, um das Fahrzeug in den hohen Geschwindigkeitsbereichen anzutreiben.

Herkömmliche Flugzeugtriebwerke könnten so nicht betrieben werden. Zwar gebe es einige Spezialtriebwerke, die unter diesen Bedingungen fliegen könnten, allerdings nur in einem begrenzten Leistungsfenster. Zudem seien sie nicht in der Lage, vom Boden aus zu starten.

Konsortium mit „SABRE“-Entwicklern

An Forschung und Produktion arbeiten unter der Leitung von Frazer-Nash der im Januar von Boeing (zurück) gekaufte kriselnde Hersteller von Flugzeugrümpfen Spirit Aero Systems Holdings Inc., die Cranfield University und eine Reihe kleiner und mittlerer Unternehmen. Außerdem ist ein Expertenteam von Reaction Engines Ltd (REL) beteiligt. Die 1989 gegründete britische Firma forschte mit ESA-Mitteln an einem SABRE (Synergetic Air Breathing Rocket Engine) genannten Triebwerk für Hyperschallantrieb. Der dabei entwickelte Vorkühler kühlt die Luft, bevor sie das Triebwerk erreicht, sodass herkömmliche Flugzeugtriebwerke für Überschallgeschwindigkeit nutzbar seien. Tests von REL hätten die Technologie unter Überschallflugbedingungen validiert und deren Integration in die bestehende Triebwerksarchitektur demonstriert.

Der Vorkühler sei in der Lage, die überhitzte Luft in Sekundenbruchteilen bei Geschwindigkeiten zu kühlen, „die deutlich über der Betriebsgrenze aller bisher bekannten Flugzeuge mit Strahltriebwerken liegen“, so Frazer-Nash. REL steht seit November 2024 unter Insolvenzverwaltung, nachdem sich die Hauptinvestoren Boeing, BAE Systems und Roll-Royce herausgezogen hatten.

Transport im Orbit revolutionieren

„Der Hyperschallflug ist das Tor zum Weltraum.“ (Tommaso Ghidini, Leiter der ESA-Abteilung für Maschinenbau). Im Bild: Der Rand eines etwa 7.600 Lichtjahre entfernten Sternentstehungsgebiets NGC 3324 im Carina-Nebel, aufgenommen von der Nahinfrarotkamera des James-Webb-Weltraumteleskops der NASA. © NASA, ESA, CSA, STScI

„Der Hyperschallflug ist nicht nur die nächste Grenze der Luft- und Raumfahrt – er ist das Tor zu einem neuen Paradigma der Mobilität, Verteidigung und des Zugangs zum Weltraum“, sagt Tommaso Ghidini, Leiter der Abteilung für Maschinenbau bei der Europäischen Weltraumorganisation. Mit Invictus nutze Europa die Chance, eine Führungsrolle bei Technologien zu übernehmen, „die die Art und Weise, wie wir uns auf dem Planeten bewegen und über ihn hinaus gelangen, neu definieren“.

Dies lege den Grundstein für Luftfahrzeuge, die wie Flugzeuge starten und wie Raketen die Umlaufbahn erreichten – „und damit sowohl den terrestrischen als auch den orbitalen Transport revolutionieren“. Mit der jahrzehntelangen Erfahrung im Antriebsbereich verfüge man nun „über alle notwendigen Voraussetzungen, um diese ehrgeizige Vision Wirklichkeit werden zu lassen“, sagt Sarah Wilkes, Geschäftsführerin bei Frazer-Nash.

Von Wasserstoffantrieb überzeugt

„Das Invictus-Programm wird die Eignung eines mit Wasserstoff betriebenen vorgekühlten Antriebssystems für den horizontalen Start und den Hyperschallflug nachweisen“, ist David Perigo, Ingenieur für Chemical Propulsion bei der ESA und technischer Leiter des Programms, überzeugt. Es biete „eine unschätzbare Gelegenheit, den gesamten Strömungsweg des Triebwerks, vom Einlass bis zum Nachbrenner, in einem integrierten Flugzeug in Originalgröße zu testen“.

Flugfähig bis Anfang 2031

Das Invictus-Konsortium will bereits in den nächsten zwölf Monaten den vorläufigen Entwurf des vollständigen Flugsystems liefern, einschließlich Anforderungen, Analyse, Entwicklungsplan und Programmdefinition bis zum Erstflug.

Ziel ist es, bis Anfang 2031 ein Mach-5-Flugzeug zu bauen und zu fliegen – mehr als doppelt so schnell wie die Concorde und über 50 Prozent schneller als die Lockheead SR-71 Blackbird, das schnellste strahlgetriebene Flugzeug der Welt, das bis 1998 im Dienst der US Air Force gestanden hat.

Die Forschungen werden nach Angaben von Frazer-Nash mit sieben Millionen Euro durch „General Support Technology Programme“ (GSTP) und das „Technology Development Element“ (TDE) der ESA finanziert.

Grafik
Visualisierung eines Hyperschallflugzeugs, an dem ein Konsortium mit Mitteln der Europäischen Weltraumagentur forscht und dieses entwickeln soll. © ESA