In der vergangenen Woche hat die EU-Kommission eine Europäische Wasserstoffstrategie veröffentlicht (wir berichteten). Diese solle als Teil des „EU Green Deal“ die Dekarbonisierung insbesondere der Sektoren Energie und Verkehr bis 2050 durch vorrangige Nutzung von grünem Wasserstoff erheblich voranbringen. Die Kommission erwartet kumulierte Investitionen bis zu 470 Milliarden Euro unter anderem in Infrastruktur, Gasnetze und Tankstellen, aber auch in die Ausweitung der Erzeugungskapazitäten von erneuerbaren Energien. Inzwischen gibt es eine Reihe von Stellungnahmen von Verbänden und Institutionen.

VDMA: „Regulierung sollte nicht die Technologien bestimmen“

Aus Sicht des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sei es wichtig, „dass das integrierte Energiesystem auf marktwirtschaftlichen Grundsätzen aufgebaut wird“. Klimaneutralität werde „am besten in einem offenen Wettbewerb zwischen Energieträgern und bestehenden sowie innovativen technischen Lösungen erreicht. Regulierung sollte nicht bestimmen, welche Technologien verwendet oder welche Energieträger in welcher Branche eingesetzt werden“, erklärt Matthias Zelinger, Klima- und Energiepolitischer Sprecher des VDMA.

„Wir unterstützen die Gründung der Clean Hydrogen Alliance“, um den Weg zur „industriellen Skalierung und zur Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit von Wasserstofftechnologien zu beschleunigen“, sagt Peter Müller-Baum, Geschäftsführer der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Power-to-X for Applications. „Eine zukunftsweisende europäische Wasserstoffstrategie muss aber auch für andere wasserstoffbasierte Gase, E-Fuels und Rohstoffe einen Entwicklungspfad beschreiben.“

BUND: „EU sollte nur grünen Wasserstoff fördern“

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) findet es „begrüßenswert, dass verschiedene nationale Wasserstoffinitiativen unter einem europäischen Dach zusammengefasst werden“. Die Europäische Wasserstoffstrategie mache deutlich, „dass die Zukunft dem grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gehört“, so Verena Graichen, stellvertretende BUND-Vorsitzende, und biete die Chance, im europäischen Binnenmarkt Nachhaltigkeitsstandards für die Wasserstoffherstellung zu etablieren. Grundsätzlich sollte grüner Wasserstoff aber „nur dort eingesetzt werden, wo keine anderen günstigeren und effizienteren Klimaschutzmaßnahmen existieren“. Unverständlich bleibe, „warum die EU-Kommission übergangsweise blauen Wasserstoff nutzen möchte“. Investitionen in fossilen Wasserstoff seien eine klimapolitische Sackgasse. „Im weiteren politischen Prozess müssen nun die gravierenden architektonischen Mängel der Strategie beseitigt werden“, so Graichen.

Die EU müsse zudem aufpassen, dass die Aktivitäten der europäischen Wasserstoffallianz „nicht den Klimaschutz unterlaufen“. Die Allianz werde ein mächtiger Player am Wasserstoffmarkt, der nicht nur berate, sondern EU-finanzierte Projekte identifiziere und umsetze. „Unternehmen mit fossilen Geschäftsfeldern erhalten einen starken Einfluss auf den Übergang zu einer Wasserstoffwirtschaft und können die Einführung erneuerbarer Energien in ihrem Interesse verzögern oder sogar verhindern.“

Thüga: „Ambitioniert und hinreichend konkret“

Die Ziele der Europäische Wasserstoffstrategie seien „ambitioniert, die Maßnahmen hinreichend konkret“, erklärt Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstandes der Thüga Aktiengesellschaft. Bemerkenswert sei, „dass die dezentrale Produktion von Wasserstoff sowie die Nutzung der für die Thüga-Gruppe elementar wichtigen Verteilnetze thematisiert sind“. „Kritisch“ sehe man allerdings „die zögerliche Haltung der Kommission in punkto Beimischung von Wasserstoff in die Verteilnetze“. Deutschland werde die CO2-Minderungsziele mit Strom und Elektromobilität allein nicht schaffen. Dazu brauche es den Einsatz von erneuerbarem und dekarbonisiertem Gas. „Deshalb können wir nicht wie vorgesehen bis 2025 mit der Klärung offener Fragen zur Wasserstoffbeimischung warten, die die Kommission zurecht adressiert.“ Stattdessen müsse man „konkrete Testfälle schaffen und zügig mit der Beimischung beginnen, um auf lange Sicht reine Wasserstoffnetze betreiben zu können“.

Wasserstoff nur über Ferngasnetze an die Großindustrie zu liefern, sei ebenfalls nicht zielführend. Mehr als die Hälfte der Industriegasmengen (52 Prozent) erreiche die Großkunden in Deutschland über die Verteilnetze, das gelte auch für die Gasversorgung von Kraftwerken (57 Prozent). „Die Dekarbonisierung dieser beiden Sektoren kann folglich nur über die Verteilnetze gelingen – andernfalls droht die Energiewende zu scheitern.“

GET H2 Nukleus: „Erster Baustein des europäischen Wasserstoffnetzes“

„Im Zusammenspiel mit der Nationalen Wasserstoffstrategie, ist das Konzept der EU ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Wasserstoffwirtschaft und damit für die Erreichung der Klimaziele“, sagt Bernhard Niemeyer-Pilgrim, Vorstandsmitglied von BP Europa SE. Mit der Erzeugung von grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien, dem Transport über 130 Kilometer Rohrleitungen und der Abnahme im Industriesektor sei das Wasserstoffprojekt GET H2 Nukleus, ein Zusammenschluss von BP, Evonik, Nowega, OGE und RWE, „eines der Vorreiterprojekte für eine ganzheitliche Wasserstoffinfrastruktur“. Das Projekt sei ein „idealer erster Baustein des europäischen Wasserstoffnetzes“, sagt Roger Miesen, Vorstandsvorsitzender der RWE Generation SE. Thomas Basten, Leiter Pipelines der Evonik-Division Technology & Infrastructure, fordert „eine zeitnahe Umsetzung der geplanten Maßnahmen der deutschen und der europäischen Wasserstoffstrategien“. Nur so könne „die notwendige Investitionssicherheit für die an Wasserstoffprojekten beteiligten Unternehmen geschaffen werden“.

DUH: „Fehlt klare Linie für den Klimaschutz“

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vermisst eine „eindeutige Absage an fossile Quellen“, kritisiert eine fehlende klare Linie für den Klimaschutz, begrüßt allerdings den Fokus auf grünen Wasserstoff. „Die Europäische Wasserstoffstrategie zeigt deutlich die Handschrift der Erdgaslobby, die auch bei der deutschen Strategie schon mitgemischt hat“, findet Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH. Die EU vergebe „eine große Chance, gemeinsam mit den benachbarten Regionen neue, am Klimaschutz orientierte Energiepartnerschaften aufzubauen“. Stattdessen würden „überholte Geschäftsmodelle der fossilen Gasbranche erhalten“.

Besonders kritisch ist aus Sicht der DUH, dass eine Umsetzungs- und Investitionsagenda von der „Clean Hydrogen Alliance“ entwickelt werden soll. Diese sei ein Branchennetzwerk, „das einseitig die Interessen der Erdgas-Industrie vertritt“.

Constantin Zerger, Leiter Energie und Klimaschutz, fordert: „Statt sich von der fossilen Gaswirtschaft die nächsten politischen Schritte diktieren zu lassen, sollte sich die EU-Kommission von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren beraten lassen. Nur so haben wir die Chance auf einen echten Systemwechsel, wie ihn die Klimaschutzziele notwendig machen.“ Die DUH fordert, dass Wasserstoff für die EU vorrangig in der EU erzeugt werden müsse. Darüber hinaus solle der europäische und internationale Wasserstoffhandel „strengen wissenschaftlich fundierten Nachhaltigkeitskriterien sowie einer unabhängigen Kontrolle unterliegen“. Importe dürften erst dann stattfinden, wenn im Stromsektor der Herkunftsländer zu 100 Prozent erneuerbare Energien eingesetzt werden oder eine entsprechende Strategie weit fortgeschritten sei. „Andernfalls verlagern wir unsere Emissionen und weitere Umweltbelastungen nur in andere Teile der Welt“, so der Verband.

DVGW: „Beimischung von Wasserstoff in das bestehende Erdgasnetz unerlässlich“

Das ambitionierte Ziel der Europäischen Kommission, bis zum Jahr 2030 erneuerbaren Wasserstoff im Umfang von mindestens 40 Gigawatt Elektrolyseleistung zu produzieren, sei ein „starkes Signal“, heißt es beim Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Es markiere einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg hin zu einem integrierten europäischen Energiesystem, in dem Wasserstoff eine tragende Säule sein werde.

„Zum Transport der zu erzeugenden Wasserstoffmengen ist die Beimischung von Wasserstoff in das bestehende Erdgasnetz unerlässlich“, erklärt der DVGW-Vorstandsvorsitzender Gerald Linke. Auf europäischer Ebene müsse „das enorme Dekarbonisierungspotenzial von klimaneutralem Wasserstoff im Wärmemarkt noch stärker mitberücksichtigt werden“.

Deep Link:
https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/hydrogen_strategy.pdf
https://www.vdma.org/v2viewer/-/v2article/render/49636188
https://www.presseportal.de/pm/18807/4646866?utm_source=digest&utm_medium=email&utm_campaign=push
https://www.presseportal.de/pm/110332/4646605?utm_source=digest&utm_medium=email&utm_campaign=push
https://www.presseportal.de/pm/134252/4646556?utm_source=digest&utm_medium=email&utm_campaign=push
https://www.presseportal.de/pm/7666/4646262?utm_source=digest&utm_medium=email&utm_campaign=push
https://www.presseportal.de/pm/22521/4646092?utm_source=digest&utm_medium=email&utm_campaign=push
https://www.dvgw.de/der-dvgw/aktuelles/presse/presseinformationen/dvgw-presseinformation-vom-08072020-eu-wasserstoffstrategie/

Foto:
Die europäische Wasserstoffstrategie ist Teil des „Green Deals“, den die EU im Dezember 2019 vorgestellt hat. © European Union