(Berlin / Deutschland) – Eine Mehrheit von Sachverständigen hat sich in einer parlamentarischen Anhörung dagegen ausgesprochen, Gaskraftwerke in das novellierte Kohlendioxid-Speicherungsgesetz einzubeziehen – anders als von der Bundesregierung geplant.
Einsatz von CCS und CCU
Das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz von 2012, das künftig den Namen „Gesetz zur dauerhaften Speicherung und zum Transport von Kohlendioxid“ (KSpTG) tragen solle, ziele darauf ab, den kommerziellen Einsatz von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS, Carbon Dioxide Capture and Storage) sowie zur Nutzung von CO2 (CCU, Carbon Capture and Utilization) zu ermöglichen. Damit werde nicht nur der rechtliche Rahmen für deren kommerziellen Einsatz geschaffen, sondern dies solle auch einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten, heißt es im Eingangsstatement des federführenden Bundeswirtschaftsministeriums (BMWE). Der Gesetzentwurf lege auch die Grundlage für den Bau von Pipelines zum Transport von CO2 und zur Speicherung in unterirdischen Gesteinsschichten – was allerdings besonders umstritten ist.
DST: Unbeschränkter CCS-Einsatz ist kritisch
In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie betonte Christine Wilcken, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetags (DST),die Vermeidung von Treibhausgasemissionen müsse weiter Vorrang bei der Erreichung der Klimaziele haben. Nur für unvermeidbare Restemissionen sollten Kompensations-, Transport-, Speicher- und Abscheidungstechnologien herangezogen werden. Der von der Bundesregierung vorgesehene unbeschränkte Einsatz von CCS/CCU an Gaskraftwerken werde vom Städtetag als kritisch eingeschätzt. „Wir sehen eine große Gefahr, dass dies in der Energieerzeugung zu einem Lock-in-Effekt in den fossilen Energieträger Erdgas führen kann“, sagte Wilcken. Deshalb müsse sichergestellt werden, dass neue Gaskraftwerke so ausgestaltet würden, dass sie perspektivisch mit Wasserstoff betrieben werden könnten, um eine zukünftige Umstellung auf klimaneutrale Energieträger zu ermöglichen. Allerdings sei der Einsatz von CCS und CCU in der Abfallverwertung erforderlich, da auch bei konsequenter Trennung und Verwertung von Abfall unvermeidbare Reststoffe anfielen, die thermisch behandelt werden müssten.
SRU: CCS verzögert Umbau der Energiewirtschaft
Wolfgang Köck vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) forderte als „oberstes Ziel“, die Entstehung von Treibhausgasemissionen von vornherein zu vermeiden. Studien zeigten, dass der Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien in den meisten Sektoren die wirtschaftlich und technologisch sinnvollste Option darstelle und für den Klimaschutz unerlässlich sei. Im Gegensatz dazu trügen die derzeit geplanten Rahmenbedingungen für die Nutzung von CCS dazu bei, dass Abhängigkeiten von fossilen Technologien verfestigt würden, was den Umbau von Energiewirtschaft und Industrie verzögere oder blockiere. Mit dem vorliegenden Entwurf des KSpTG würden die Weichen falsch gestellt, sagte Köck. Die CCS-Nutzung werde nicht auf unvermeidbare Emissionen ausgerichtet. Vielmehr habe sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vorgenommen, CCS auch für Gaskraftwerke zu ermöglichen. Eine unzureichend regulierte Markteinführung von CCS könne jedoch den Umstieg auf erneuerbare Energien und die Vermeidung von CO2-Emissionen aus Industrie und Energiewirtschaft verzögern und verteuern.
Bellona: CCS für Kalk und Zement erforderlich
Allein die Prozessemissionen in der Zement- und Kalkindustrie sowie der thermischen Abfallwirtschaft machten zusammen rund ein Drittel der industriellen Treibhausgasemissionen Deutschlands aus, betont Fabian Liss, Referent für Industrielles Carbon-Management bei der Bellona Foundation: „Ohne CCS können diese Emissionen auch langfristig nicht eliminiert werden, da Alternativen nicht hinreichend vorhanden sind.“ Die Integration von CCS als ein Baustein in ein vielfältiges Portfolio von Klimaschutzinstrumenten biete zudem Mehrwerte, etwa bei der Produktion von low-carbon (blauem) Wasserstoff als temporäre Ergänzung zum grünen Wasserstoff oder dem Umgang mit Restemissionen in transformierten Prozessrouten. Auch bei der Emissionsvermeidung in der Chemieindustrie solle CCS trotz grundsätzlicher Elektrifizierbarkeit vieler Anlagen nicht vorschnell ausgeschlossen werden, sagte Liss. Hingegen sei die Anwendung von CCS im deutschen Stromsektor „nicht empfehlenswert“. Statt über CCS als Möglichkeit der partiellen Dekarbonisierung von stromgeführten Gaskraftwerken zu diskutieren, solle die Arbeit an einer System- und Flexibilisierungsstrategie und insbesondere die Strommarktreform inklusive eines technologieoffenen Mechanismus für die Sicherung von Kapazitäten für die Wahrung der Versorgungssicherheit priorisiert werden.
NABU: CCS untergräbt Emissionsvermeidung
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) sehe mit Sorge, dass der Gesetzesentwurf CCS-Technologie für alle Branchen prinzipiell öffne, sagt dessen Präsident Jörg-Andreas Krüger. Dies untergrabe die Bemühungen um Emissionsvermeidungen und erwecke den Eindruck unbegrenzt verfügbarer technischer Speicherkapazitäten. Studien zeigten, dass die Speicherkapazitäten insbesondere in der Nordsee stark begrenzt sind. Der Einsatz von CCS müsse deshalb strikt auf unvermeidbare Restemissionen in ausgewählten Industrieprozessen wie Kalk und Zement beschränkt bleiben. CCS sei nicht nur energieintensiv. Abscheidung und Transport verursachten hohe Kosten für den Aufbau der notwendigen Infrastruktur, sei es für den Bahn- oder Schiffstransport sowie den Bau der notwendigen Hubs an den Häfen. Das im Gesetzentwurf formulierte „überragende öffentliche Interesse“ für Kohlenstofftransport und Speicherung sehe der NABU kritisch. Die inflationäre Anwendung des überragenden öffentlichen Interesses bei gleichbleibend knappen Kapazitäten und Tools in Planungs- und Genehmigungsbehörden allein werde nicht die erwünschte Beschleunigung herbeiführen.
BUND: Gesetz hemmt Ausbau der Erneuerbaren
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) spricht sich gegen das Kohlendioxidspeicherungsgesetz und grundsätzlich gegen die Nutzung der CCS-Technik aus. „Das Gesetz ist gefährlich für den Wirtschaftsstandort, denn es schafft vor allem Unsicherheit und hemmt den naturverträglichen Ausbau der erneuerbaren Energien“, sagt Kerstin Meyer, Leiterin Wirtschaft und Finanzen. Zudem sei das Vorhaben der Bundesregierung nicht technologieoffen, denn es blockiere den Weg in die industriepolitische Zukunft und versenke Milliarden in mehr fossile und absehbar nutzlose CO2-Infrastruktur. „Das Gesetz stellt die Weichen gravierend falsch.“ Jahrzehnte könnten verschwendet werden, während die Klimakrise weiter angeheizt werde. Trotz öffentlicher Subventionen seien die meisten CCS-Projekte gescheitert. Für die meisten Industrieanwendungen, die in Deutschland diskutiert würden, für die Müllverbrennung, Zementherstellung oder Bioenergie liege die langfristige Ausfallrate von CCS-Projekten bei hundert Prozent.
DLT: CCS für einige Industrien unabdingbar
Landkreise und Gemeinden müssten von vornherein in die Entscheidungsfindung für Standorte eingebunden werden, denn konkrete Lagerstätten erforderten ein Höchstmaß an Akzeptanz, sagt Klaus Ritgen, Referent beim Deutschen Landkreistag (DLT). Zwar sei es richtig, die Entstehung von CO2-Emissionen von vornherein zu reduzieren, doch gebe es Branchen, in denen die Abscheidung, Nutzung oder dauerhafte Speicherung die einzigen verfügbaren Möglichkeiten zur Reduzierung der CO2-Emissionen seien, etwa die kommunal verantwortete Müllverbrennung. Zudem sollten die „systemisch erforderlichen Gaskraftwerke“ technisch in der Lage sein, zu einem späteren Zeitpunkt mit Wasserstoff betrieben zu werden. „Der Einsatz von Gaskraftwerken ist nach aktuellem Stand zur Gewährleistung einer sicheren und unterbrechungsfreien Energieversorgung erforderlich“, sagte Ritgen.
VCI: Entwurf ist richtiges Signal
Die von der Bundesregierung geplante Gesetzesänderung sei „das richtige Signal“, sagt Matthias Belitz, Bereichsleiter für Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz beim Verband der Chemischen Industrie (VCI). Der Rechtsrahmen müsse schnell verabschiedet werden, um noch eine Chance darauf zu haben, bereits ab 2030 bis 2032 CO2-Abscheidung und CO2-Speicherung vornehmen zu können. „Offshore-Projekte haben eine Vorlaufzeit von sieben bis zehn Jahren.“ Die Errichtung, der Betrieb sowie die wesentliche Änderung von Kohlendioxidleitungen und Kohlendioxidspeichern lägen nun „im überragenden öffentlichen Interesse“, das sei zu begrüßen. Auch mit Erdgas betriebene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) sollten Zugang zum CO2-Pipelinenetz erhalten. Das BMWE sollte die Bundesnetzagentur beauftragen, ein CO2-Kernnetz analog zum Wasserstoffkernnetz zu planen. CO2 und Wasserstoff müssten in der stofflichen Nutzung zusammengedacht werden.
OGE: Ohne CCS wandert die Industrie ab
Ohne die Möglichkeit, CO2 zu speichern, drohe eine weitere Abwanderung von Unternehmen ins Ausland, vor allem aus der Chemie-, Kalk- und Zementindustrie, sagt André Brauner, Abteilungsleiter Liegenschafts- und Planungsrecht beim Fernleitungsnetzbetreiber Open Grid Europe GmbH (OGE). Diese Unternehmen seien jedoch für die Versorgungssicherheit und für die wirtschaftliche Souveränität unseres Landes unverzichtbar. Der Bundestag solle das Gesetz zügig verabschieden, damit der Aufbau einer CO2-neutralen Infrastruktur „tatsächlich beginnen kann“, so Brauner.
IBE: Entwurf ist grundsätzlich zu begrüßen
Sven-Joachim Otto, Mitglied des Direktoriums des Instituts für Berg- und Energierecht (IBE) der Ruhr-Universität Bochum Energiesozietät GmbH, begrüßte den Gesetzentwurf, weil er Transport und Speicherung gleichberechtigt nebeneinander stelle, Beschleunigungsinstrumente verankere und die Umwidmung bestehender Gasleitungen für CO2 erleichtere. Doch er sehe noch „Optimierungsbedarf“. Die bundesweite Onshore-Nichtzulässigkeit mit „Opt-in“-Möglichkeiten für die Länder erzeuge Rechts- und Standortunsicherheit. Ein umgekehrtes Leitbild sei technologieoffener und sollte im Gesetzentwurf nachgebessert werden. Bei der Abstandsregelung im Meer würde er von „der starren acht-Kilometer-Regel Abstand nehmen“.
Den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes“ gibt es als PDF (68 Seiten).
Den Wortlaut der Stellungnahmen der Verbandsvertreter findet man auf der Bundestagswebsite.
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In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des BMWE erklärten Verbandsvertreter ihre Positionen zum Entwurf einer Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes. © Deutscher Bundestag / Simone M. Neumann




