(Berlin) – „Will die Bundesregierung ihre energiepolitischen Ziele erreichen, muss sie aufs Tempo drücken“, erklärte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW). Dieses bislang eher „gefühlte Wissen“ untermauern die Wissenschaftler nunmehr mit einem faktenbasierten Kontrollinstrument und haben dafür einen „Ampel-Monitor Energiewende“ entwickelt. Anhand von 15 Indikatoren wollen sie festhalten und fortlaufend dokumentieren, inwiefern die Regierung ihre energiepolitische Agenda umsetzt. Der Monitor stützt sich auf offen zugängliche Daten und begleitet die Fortschritte bei den Regierungszielen von nun an bis 2030. Besonders große Lücken klaffen demnach zwischen der aktuellen Entwicklung und den Zielen bei grünem Wasserstoff, Elektromobilität und erneuerbarer Wärme.
Ziele für grünen Wasserstoff noch in weiter Ferne
Am meisten müsse beim grünen Wasserstoff geschehen: Die im Koalitionsvertrag angepeilte Elektrolysekapazität von rund 10.000 Megawatt (MW) im Jahr 2030 erscheine angesichts einer elektrischen Leistung von rund 60 Megawatt (MW) Ende des vergangenen Jahres „noch in weiter Ferne“, sagt DIW-Energieökonom und Mit-Initiator des Monitors, Wolf-Peter Schill. Bis Ende 2030 müssten im Durchschnitt etwa 90 MW pro Monat zugebaut werden.
Photovoltaik: Zubau von 1,44 GW pro Monat erforderlich
Die Stromerzeugung aus Sonne und Wind ist nicht allein für den direkten Gebrauch erforderlich, sondern auch zur Herstellung von Wasserstoff oder dessen Derivate. Um die Ziele der Regierung im Bereich der Photovoltaik (PV) bis 2030 zu erreichen, müsse das Ausbautempo verglichen mit dem Trend der vergangenen zwölf Monate verdreifacht werden.
Das Parlament hatte am letzten Tag vor seiner Sommerpause Anfang Juli die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verabschiedet. Demnach liegt das aktualisierte PV-Ausbauziel bei 128 Gigawatt (GW) bis 2026, bis 2030 sollen es 215 GW sein.
Zum Start der Ampelkoalition Anfang Dezember 2021 betrug die in Deutschland installierte Leistung mit rund 58 GW nur ein gutes Viertel des 2030er-Ziels. Bis Ende 2030 müssten im Durchschnitt 1,44 GW pro Monat zugebaut werden, so die Wissenschaftler. Der Trend des PV-Ausbaus in den vergangenen zwölf Monaten sei mit gerade mal 0,45 GW pro Monat deutlich zu gering. Mit dieser Ausbaugeschwindigkeit würden bis Ende 2030 lediglich knapp 108 GW errichtet.
Verdoppelung der Onshore-Windkraft bis 2030
Für die Windkraft an Land ist in der EEG-Novelle ein Ziel von 115 GW installierter Leistung im Jahr 2030 genannt. Ende November 2021 waren knapp 56 GW aufgebaut. „Zum Erreichen des Ziels müssen bis Ende des Jahres 2030 im Durchschnitt 0,54 GW pro Monat netto zugebaut werden. Im Trend der vergangenen zwölf Monate waren es nur 0,13 GW pro Monat, das Ausbautempo muss also vervierfacht werden“, so das DIW.
Die EEG-Novelle sehe für das Jahr 2022 allerdings nur einen Zubau von rund 0,2 GW pro Monat vor, jedoch werde aktuell nicht einmal dieses Ziel erreicht. Nach dem Jahr 2030 strebt die Regierung eine weitere deutliche Steigerung der Kapazität auf 157 GW im Jahr 2035 und 160 GW im Jahr 2040 an.
Windkraft auf See stagniert
Für die Windkraft auf See strebt die Koalition eine Leistung von mindestens 30 GW im Jahr 2030 an. Anfang Dezember 2021 lag die in deutschen Gewässern installierte Leistung mit 7,8 GW nur bei einem guten Viertel davon. Um das Ausbauziel zu erreichen, müssen bis 2030 im Durchschnitt 0,20 GW pro Monat netto zugebaut werden.
Allerdings gingen in den vergangenen zwölf Monaten überhaupt keine neuen Windkraftanlagen auf See ans Netz. Im Trend der Jahre 2017 bis 2021 waren es circa 0,07 GW pro Monat – „diese Geschwindigkeit muss für das 2030-Ziel fast verdreifacht werden“, errechnete das Institut. Auch danach soll die installierte Leistung weiter stark wachsen: auf mindestens 40 GW im Jahr 2035 und mindestens 70 GW im Jahr 2045.
Lücken bei Wärme, E-Mobilität und Ladeinfrastruktur
Ebenfalls eine große Lücke klafft bei der Wärmeversorgung, bei der im Jahr 2030 ein Anteil erneuerbarer Energien von 50 Prozent avisiert ist. Hierfür müsse der Anteil jährlich um fast vier Prozentpunkte wachsen.
Wenn das Koalitionsziel erreicht werden soll, die E-Autoflotte bis 2030 auf 15 Millionen Fahrzeuge zu steigern, müssen in Deutschland durchschnittlich rund 130.000 Fahrzeuge monatlich zugelassen werden. Derzeit sind es den Zahlen des DIW zufolge knapp 30.000.
Bei der Ladeinfrastruktur muss nach den Daten des Monitors sogar noch mehr zugelegt werden, wenn das Ziel nicht verfehlt werden soll. Statt derzeit 1.200 Ladepunkte monatlich müssten 8.700 in Betrieb gehen – rund sieben Mal so viele.
„Unser Ampel-Monitor leistet mit seinen offenen und stets aktualisierten Energiedaten einen wichtigen Beitrag zu einer informierten und faktenbasierten energiepolitischen Debatte“, bilanziert Studienautor Alexander Roth. „Er zeigt, dass die To-Do-Liste der Bundesregierung noch lang ist. Die gesetzten Ziele sind keine Selbstläufer, die Entwicklung muss in allen Bereichen an Dynamik gewinnen.“
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Die Installationen von Windenergieanlagen auf See liegen weit hinter dem Soll. Das Bild zeigt einen Windpark mit Vestas-Turbinen in der Deutschen Bucht. © Vestas Wind Systems A/S
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Die Geschwindigkeit der Energiewende muss erhöht werden. Das PV-Ausbautempo lag zuletzt bei nur 30 Prozent des Durchschnittstempos, das zum Erreichen der Ziele 2030 nötig ist. Bei Windkraft an Land steht man bei 24 Prozent, in Sachen Windkraft auf See wurde noch gar nichts erreicht. © DIW
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Vergleich des aktuellen Ausbaustandes mit den Zielen der Koalition für 2030. © DIW
„Ampel-Monitor zeigt: Energiewende muss deutlich beschleunigt werden“. Die Studie gibt es im DIW Wochenbericht 27 als PDF.
Der Ampel-Monitor Energiewende wird auf der DIW-Website laufend aktualisiert.