(Berlin/München) – Die Deutsche Bahn AG (DB) und die Siemens Mobility GmbH haben in Krefeld die ersten Elemente eines sich in der Entwicklung befindenden „Mireo Plus H“ genannten Wasserstoffzuges präsentiert. Das Fahrzeug ist vorerst zweiteilig konzipiert und hat eine Reichweite von 800 Kilometern. Eine dreiteilige Variante soll 1.000 Kilometer schaffen.
Die Antriebsleistung des ersten Prototyps beträgt 1,7 Megawatt, was nach Unternehmensangaben mit elektrischen Triebzügen vergleichbar sei. Die Höchstgeschwindigkeit liege bei 160 Stundenkilometern. Das Antriebssystem bestehe aus einer Brennstoffzelle und einer Lithium-Ionen-Batterie.
Tanken wie bei einem Dieseltriebwagen
Der „Mireo Plus H“ soll einst Dieseltriebzüge im Regionalverkehr ersetzen. Die DB hat eigenen Angaben zufolge ein Verfahren entwickelt, mit dem die Betankung eines Wasserstoffzuges erstmalig genauso schnell verlaufe, wie die Betankung eines Dieseltriebzugs. Dies sei „ein wichtiger Aspekt angesichts der eng getakteten Zugfolgen im Regionalverkehr“, erklärte die Bahn. In einem Kompressor verdichtet, werde der Wasserstoff in einem mobilen Speicher gelagert. Vor dem Tankvorgang werde der grüne Treibstoff aufbereitet und gekühlt. Der Wasserstoff wird in Tübingen von DB Energie mit Ökostrom produziert. Für Wartungsarbeiten stehe das DB-Werk in Ulm zur Verfügung.
Erste Praxistests ab 2023
Im nächsten Jahr soll der „Mireo Plus H“ Testfahrten in Baden-Württemberg aufnehmen. Für die Strecke zwischen Tübingen und Pforzheim ergeben sich nach DB-Berechnungen durch den Austausch von Diesel gegen Wasserstoff Einsparungen von etwa 330 Tonnen CO2 pro Jahr. Generell könne die Neuentwicklung bei einer Laufleistung von 200.000 Kilometern und abhängig vom Streckenprofil rund 520 Tonnen pro Jahr einsparen.
Ab 2024 soll das Fahrzeug ein Jahr lang im regulären Fahrgasteinsatz zwischen Tübingen, Horb und Pforzheim unterwegs sein und einen dort fahrenden Dieseltriebwagen ersetzen. Geplant sind etwa 120.000 Kilometer Bahnbetrieb. Die Strecke eigne sich besonders wegen der „für den Regionalverkehr beispielhaften Taktung des Fahrplans und der abwechslungsreichen Topografie“.
Siemens Mobility und die Deutsche Bahn wollen den „Mireo Plus H“ im September in Berlin auf der Messe für Bahntechnik „InnoTrans 2022“ präsentieren.
Alstom liefert bereits
Siemens ist allerdings nicht das erste Bahntechnikunternehmen mit Wasserstoffzügen. Der französische Hersteller Alstom präsentierte seinen „Coradia iLint“ schon auf der Messe „InnoTrans 2016“. Bahnunternehmen in mehreren europäischen Ländern haben den Zug mittlerweile getestet und Interesse daran bekundet. FNM S.p.A. (Ferrovie Nord Milano) in Italien orderte mindestens sechs Züge bei Alstom – im Norden Deutschlands fahren sie bereits.
Überdies hat Alstom erst in der vergangenen Woche, am 18. Mai, verkündet, man habe mit dem polnischen Mineralölkonzern PKN Orlen eine strategische Kooperationsvereinbarung über die Lieferung von umweltfreundlichen Zügen sowie zur Wasserstoff-Betankungsinfrastruktur unterzeichnet. Demnach sollen die ersten Fahrzeuge voraussichtlich innerhalb von zwei Jahren auf regionalen Linien rollen.
Bedarf und Bestand in Deutschland
DB Regio sei mit Abstand größter Halter von Triebzügen in Deutschland (etwa zwei Drittel inklusive S-Bahn-Züge), heißt es in einer Bestandsaufnahme des Bundesverkehrsministeriums (vormals BMVI, heute Bundesministerium für Digitales und Verkehr BMIV). Der Anteil privater Eisenbahnverkehrsunternehmen sei allerdings in den vergangenen Jahren stark gestiegen, so die Studie aus dem Jahr 2020.
Die beiden mit Abstand häufigsten Konzepte im Regional- und Nahverkehr sind Elektro- und Dieseltriebzüge. So waren Ende 2019 in Deutschland rund 6.100 Triebzüge im Einsatz. Davon entfielen etwa 55 Prozent (3.400 Züge) auf elektrische Triebzüge zur Personenbeförderung. Die Flotte in Deutschland wies ein Durchschnittsalter von nur 13 Jahren auf und sei „verglichen mit dem europäischen Durchschnitt sehr jung“.
Der überwiegende Rest der erfassten Triebzüge für den Personenverkehr entfiel auf Dieselfahrzeuge (2.700 Züge). Deren Einsatz sei meist auf den Nah- und (Inter-)Regionalverkehr auf nicht elektrifizierten Strecken beschränkt. Ein Großteil dieser Flotte wurde Anfang der 2000er Jahre angeschafft und weise ein Durchschnittsalter von etwa 18 Jahren auf. Damit stünde „in den kommenden zehn Jahren“ deren Austausch an.
LNGV und RMV nutzen „iLint“
Die innovativen Triebfahrzeuge hingegen bildeten zum Zeitpunkt der Untersuchung nur eine kleine Teilflotte von weniger als 20 Zügen. Diese sind mit einem alternativen Antrieb wie beispielsweise einer Brennstoffzelle oder Batterie versehen.
Die Landesverkehrsgesellschaft Niedersachen (LVGN) ist inzwischen mit 14 Zügen des „iLint“ von Alstom unterwegs. Das Fahrzeug wird im regulären Fahrgastbetrieb zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude eingesetzt.
Der Rhein Main Verkehrsverbund (RMV) wird dies allerdings in Kürze toppen: Das Unternehmen hat im Jahr 2019 für mehr als 500 Millionen Euro 27 Brennstoffzellenzüge „iLint“ für sein Taunus-Netz bestellt, die nach Unternehmensangaben Ende 2022 mit dem Jahresfahrplan 2023 in Betrieb gehen und bisher mit Diesel betriebene Züge auf drei Regionalstrecken ersetzen. Die Reichweite liegt bei 1.000 Kilometern mit einer Tankfüllung. Auf dem Gelände des Industrieparks Höchst in Frankfurt entsteht eine Wasserstofftankstelle. Das Land Hessen fördert deren Bau nach RMV-Angaben mit 60 Prozent (2,5 Millionen Euro) der anfallenden Kosten.
Geschäft mit innovativen Antrieben steigt
Im Neufahrzeuggeschäft würden die mithilfe von Wasserstoff- oder Batterietechnologie angetriebenen Züge bis Mitte des Jahrzehnts den klassischen Dieseltriebzug einholen, so die BMVI-Studie. Sofern die Prognosen der Autoren zutreffen, dürfte sich also das Vorhaben von Deutscher Bahn und Siemens, in innovative Wasserstoffzüge zu investieren, zu einem lohnenden Geschäft entwickeln.
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Deutsche Bahn und Siemens Mobility präsentieren neuen Wasserstoffzug (v.l.n.r.): Michael Peter, CEO Siemens Mobility, Michael Theurer, Parlamentarischer Staatssekretär beim BMDV Daniela Gerd tom Markotten, Vorständin Digitalisierung & Technik bei der Deutschen Bahn. © Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben
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Das Projekt „H2goesRail“ wird im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie mit insgesamt 13,74 Millionen Euro durch das Bundesverkehrsministerium gefördert. © Deutsche Bahn / Siemens Mobility
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Alstom hat den Wasserstoffzug „iLint“ bereits im Einsatz – auch in Deutschland. © Alstom
Die Studie „Innovative Triebwagen“ des Bundesverkehrsministeriums (November 2020) gibt es kostenfrei als PDF (147 Seiten).