Berlin – Innerhalb von 30 Jahren kann Deutschland klimaneutral werden. Dazu bedürfe es eines umfassenden Investitionsprogramms, das den Ausbau der erneuerbaren Energien mit hoher Priorität vorantreibt, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr, Wärme und Industrie umfasst, die energetische Sanierung fast aller Gebäude beinhaltet und den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur anstößt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse „Klimaneutrales Deutschland“ im Auftrag der Berliner Denkfabrik Agora.

In einem ersten Schritt würden die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken. Daran würde sich ein zweiter Schritt mit einem vollständigen Umstieg auf klimaneutrale Technologien anschließen, so dass die Emissionen um 95 Prozent zurückgehen. Mit einem dritten Schritt würden schließlich nicht vermeidbare Restemissionen durch CO2-Abscheidung und -Lagerung ausgeglichen. Dazu sei ein beschleunigter Zubau von Wind- und Solarstromanlagen erforderlich.

Bei der Photovoltaik ist der Studie zufolge eine Verdreifachung der aktuell installierten Leistung auf 150 Gigawatt (GW) bis 2030 nötig. Bei Windkraft an Land müsse sie von aktuell 54 auf 80 GW steigen. Die Windkraft auf See müsse von derzeit knapp 8 auf 25 GW im Jahr 2030 wachsen. Im Gegenzug würde der Ausstieg aus der Kohleverstromung beschleunigt und schon bis 2030 abgeschlossen.

Als „drei Säulen der Transformation“ bezeichnen die Autoren Energieeffizienz, Strom aus erneuerbaren Energien sowie Wasserstoff als Energieträger. Bis 2050 steige der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch auf 100 Prozent, wobei sich die Stromnachfrage aufgrund der sektorübergreifenden Elektrifizierung sowie durch die steigende Herstellung von Wasserstoff um rund 50 Prozent auf 960 Terawattstunden (TWh) erhöhen werde. Gebraucht wird Wasserstoff auch als Speicher. Er wird in Back-up-Kraftwerken eingesetzt, die einspringen, wenn Wind- und Solaranlagen keinen Strom liefern können.

Für die Industrie sei neben der direkten Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energien der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur entscheidend. „In der Stahlindustrie etwa öffnet sich derzeit ein Gelegenheitsfenster“ so die Studie: „Rund die Hälfte der Hochöfen in Deutschland muss bis 2030 aus Altersgründen ersetzt werden; Anlagen, die anstelle von Kokskohle mit Wasserstoff betrieben werden, könnten den CO2-Ausstoß der Industrie drastisch senken.“ Bis 2050 werde Wasserstoff zudem nach und nach Erdgas als Rohstoff ersetzen.

Neben inländisch hergestelltem Wasserstoff würden Wasserstoffimporte immer wichtiger. Die Studie geht davon aus, dass die Wasserstoffnachfrage im Jahr 2050 etwa 270 TWh beträgt. Davon würden 31 Prozent in Deutschland herstellt.

Der größte Teil des Wasserstoffbedarfs entfalle als Brennstoff auf die Stromerzeugung. Zum Teil erfolge dies in Kraft­-Wärme­-Kopplung, sodass auch ein Teil der Fernwärme auf Wasserstoff basiere. Für Objektbeheizungen sieht die Studie aus Kostengründen keine Einsatzmöglichkeit von Wasserstoff. Im Verkehrssektor würden 40 TWh, benötigt, überwiegend für den Schwerlastverkehr mit Brennstoffzellen, zu kleineren Anteilen auch für leichtere Nutzfahrzeuge.

Die Studie „Klimaneutrales Deutschland“ wurde von der Prognos AG, dem Öko-Institut und dem Wuppertal Institut im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität erstellt. Eine Zusammenfassung gibt es bereits kostenfrei (siehe Link). Die ausführliche Version der Studie mit Ergebnissen für alle Sektoren, Modellierungsvarianten und Methodenteil wird voraussichtlich am 9. November veröffentlicht.

Deep Link
https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/klimaneutrales-deutschland-zusammenfassung/

Foto
Deutschland kann bis 2050 klimaneutral werden / © Power-to-X

Grafik
CO2-freie Wasserstofferzeugung und Nutzung in Deutschland / © Agora-Studie „Klimaneutrales Deutschland“