(Jülich / Deutschland) – Solar- und Windstrom sind bis 2050 die Hauptenergiequellen in Europa. Kernkraft spielt nur dann eine Rolle, wenn die Investitionskosten deutlich sinken. Globale Wasserstoffimporte gewinnen eine größere Bedeutung, wenn der Ausbau an Erneuerbaren und Netzkapazitäten schleppend verläuft – oder kurzfristig Importpreise von unter drei Euro pro Kilogramm zu erwarten sind.
Ausbau von Windkraft und PV steigern
Zu diesen Ergebnissen kommt eine jetzt vorgestellte Studie des Teams der Jülicher Systemanalyse am Forschungszentrum Jülich. Die Untersuchung zeigt, wie die europäischen Staaten ihre Potenziale zur Umsetzung des beschlossenen „European Green Deal“ am besten nutzen können. Gemäß des Ende 2019 von der EU-Kommission vorgestellten Konzepts sollen die Netto-Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 in der Europäischen Union auf null reduziert werden.
Windkraft- und Photovoltaikanlagen seien künftig die Hauptquellen der europäischen Energieversorgung. Im Jahr 2030 erreiche ihr Anteil 60 Prozent, im Jahr 2050 über 90 Prozent. Der Ausbau erneuerbarer Energien sei „essenziell“ und müsse gegenüber dem heutigen Ausbautempo „um ein Vier- bis Fünffaches“ gesteigert werden: bei PV von jetzt 23 Gigawatt (GW) pro Jahr auf 115 GW pro Jahr, bei Wind sei eine Steigerung von 14 GW auf 57 GW pro Jahr erforderlich. „Das Potenzial reicht zur Selbstversorgung“, so die Autoren. „Ein schleppender Ausbau der Erneuerbaren würde die Abhängigkeit von globalen Importen deutlich erhöhen.“
Optional werden auch Kernkraftwerke diskutiert. Die Analysen hätten jedoch ergeben, dass diese im Vergleich mit Photovoltaik und Windkraft nicht wettbewerbsfähig seien – auch unter Berücksichtigung der Speicher- und erhöhten Transportkosten –, solange die realen Investitionskosten von AKW nicht unter 6.600 Euro pro Kilowatt installierter Leistung lägen. Bei Hinkley Point C (Großbritannien) seien es beispielsweise 17.500 Euro, bei Flamanville-3 (Frankreich) rund 10.875 Euro und bei Olkiluoto 3 (Finnland) etwa 6.875 Euro pro Kilowatt.
„Wasserstoff wird essenziell“
Durch die regionale Betrachtung der Strom-, Gas- und Wasserstoffinfrastruktur, einschließlich der Umstellung bestehender Gasnetze und -speicher auf Wasserstoff, wird der Bedarf an Netzausbau auf 800 Gigawatt für Strom und 1.800 Gigawatt für Wasserstoff beziffert. Dabei erfolge der Energietransport verstärkt von Nord- und Südeuropa Richtung Deutschland. Dies sei aus Gründen der Kosten- und Versorgungssicherheit „sinnvoll und umsetzbar“. Gleichzeitig schafften sich Nord- und Südeuropa damit neue Märkte, die im Jahr 2050 Wasserstoffexportvolumen von 100 Milliarden Euro erreichten.
Die Jülicher Forscher erkennen einen „deutlich höheren Wasserstoffbedarf als in bisherigen Studien“. Während der Bedarf der chemischen Industrie mit jährlich etwa 42 Megatonnen im Jahr 2050 weitgehend übereinstimmend abgeschätzt werde, führe der Luft- und Schifffahrtsverkehr – unter anderem für den Einsatz von grünen Kraftstoffen – zu einer europaweiten Steigerung um 30 Megatonnen pro Jahr. Bezogen auf Deutschland erhöhe sich dadurch der Wasserstoffbedarf um die Hälfte.
Europa habe theoretisch die Option, seine eigene kosteneffiziente Versorgung selbst sicherzustellen, ohne auf Importe aus anderen Ländern angewiesen zu sein. „Die europäische Wasserstofferzeugung ist bis zu einem Importpreis von 3,20 Euro pro Kilogramm im Jahr 2030 konkurrenzfähig“ – solange der Ausbau der erneuerbaren Energien planmäßig verlaufe. „Anderenfalls wird der Import von grünem Wasserstoff oder dessen Produkte nötig.“ Im Jahr 2050 müsse der Weltmarktpreis bei 2,20 Euro pro Kilogramm liegen, damit europäischer Wasserstoff wettbewerbsfähig sei.
Deutschland ist vorerst Wasserstoffimporteur
Deutschland werde unter allen europäischen Staaten den größten Bedarf an Strom und an Wasserstoff haben: elf Prozent am Gesamtstrombedarf und 21 Prozent am Gesamtbedarf für Wasserstoff. Dabei werde Deutschland 35 Prozent seines Strombedarfs und 80 Prozent seines Wasserstoffbedarfs importieren, wodurch der Ausbau zusätzlicher Kapazitäten von 90 Gigawatt für Strom- und 200 Gigawatt für Wasserstoff notwendig würden. Als wichtigste Wasserstoffexporteure nennt die Analyse Spanien, Norwegen, Italien und Griechenland.
Mittlere Wasserstofferzeugungskosten innerhalb Deutschlands können für das Jahr 2050 mit etwa drei Euro pro Kilogramm abgeschätzt werden. Um die saisonale Speicherung und damit die Energieversorgung sicherzustellen, seien alle derzeitig zur Erdgasspeicherung verwendeten Salzkavernen auf die Wasserstoffspeicherung umzurüsten. Hinzu komme der Neubau von 80 Kavernen in Deutschland, um gegen großflächig in Europa auftretende Dunkelflauten gewappnet zu sein.
Rückverstromung spielt nur geringe Rolle
Im Gegensatz zu den Ergebnissen anderer Studien spiele die Wasserstoffrückverstromung jedoch nur „eine geringe Rolle, solange alle Länder verstärkt Erneuerbare ausbauen“. Für die Versorgungssicherheit bei großflächigen Dunkelflauten oder zu geringen Ausbauraten der Erneuerbaren in Europa können bis zu 93 Gigawatt Rückverstromungskapazitäten in Deutschland notwendig werden. Europaweit sei der Neubau von mehr als 50 Terawattstunden zusätzlicher Speicherkapazität notwendig, was einem Zubau von etwa 200 Salzkavernen entspreche.
Die Studie „Europäische Energiewende: Deutschland im Herzen Europas“ wird zum Ende des Jahres veröffentlicht. Die Präsentation der Kernergebnisse (16 Seiten) sowie Detailergebnisse (29 Seiten) gibt es kostenfrei als PDF.
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Studie: Die europäische Wasserstofferzeugung ist bis zu einem Importpreis von 3,20 Euro pro Kilogramm im Jahr 2030 konkurrenzfähig – solange der Ausbau der erneuerbaren Energien planmäßig verläuft. Als wichtigste Wasserstoffexporteure nennt die Analyse Spanien, Norwegen, Italien und Griechenland. © Europäische Union