(Hoofddorp / Niederlande) – Bis vor Kurzem noch voller Pläne, jetzt der Rückzieher: Das in den Niederlanden ansässige Automobilkonglomerat Stellantis N.V. gibt die Brennstoffzellentechnologie auf. Als Begründung nennt das Unternehmen eine „begrenzte Verfügbarkeit von Wasserstoff-Tankstelleninfrastruktur“ sowie „hohe Kapitalanforderungen“ und fehlende Kaufanreize für Verbraucher.

Stellantis vereint mehr als ein Dutzend Marken unter seinem Dach, darunter Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Citroën, Dodge, Fiat, Jeep, Lancia, Maserati, Opel, Peugeot, Ram und Vauxhall. Der Konzern hatte erst im März dieses Jahres die neue Generation des Opel „Vivaro Hydrogen“ vorgestellt. Das Fahrzeug sei „bald verfügbar“, verkündete Lars Peter Thiesen, Leiter Einführungsstrategie Wasserstoff und Brennstoffzelle, auf einer Fachtagung in Bayern. © Stellantis Germany GmbH

Man erwarte nicht, „dass sich wasserstoffbetriebene leichte Nutzfahrzeuge vor Ende des Jahrzehnts flächendeckend etablieren“. Infolgedessen werde Stellantis seine neue Palette wasserstoffbetriebener „Pro One“-Fahrzeuge in diesem Jahr nicht mehr auf den Markt bringen. Die Serienproduktion stand indes unmittelbar bevor. Noch in diesem Sommer sollten in Hordain (Frankreich) die ersten mittelgroßen Transportern vom Band laufen sowie große Transporter in Gliwice (Polen).

Hype wollte bis zu 1.000 wasserstoffbetriebene Taxis von Stellantis einsetzen – zog sich dann aber zurück und schwenkt auf batterieelektrische Fahrzeuge um. © Stellantis N.V.

Vor zwei Jahren noch feierte der Konzern die Lieferung von 50 Fahrzeugen der Marken Peugeot (e-Expert Hydrogen) und Citroën (ë-Jumpy Hydrogen zéro emission) nach Paris. Geschäftspartner war „Hype“, eine Organisation für Personen mit eingeschränkter Mobilität, die mit einer Plattform für Wasserstoffmobilität nebst Versorgung, Produktion, Verteilung und Nutzung seit mehreren Jahren Wasserstofftaxis betreibt. Bis Ende 2025 sollten 15 weitere Metropolen in das Konzept integriert werden, so die Pläne. Avisiert waren letztlich bis zu 1.000 Exemplare solcher Fahrzeuge (wir berichteten). Doch Hype zog sich zurück. Medienberichten zufolge soll es im Hintergrund schwere Auseinandersetzungen mit Betreibern von Wasserstofftankstellen und -lieferanten wie Total Energies und Air Liquide geben, die zum einen das Netz nicht schnell genug ausgebaut hätten und zum anderen die Preise monopolistisch nach oben trieben.

Im April 2024 hieß es Medienberichten zufolge überdies, Stellantis wolle bis 2030 rund 100.000 Fahrzeuge pro Jahr bauen. Batterie- und Brennstoffzellenantriebe seien keine Konkurrenz, wurde der Chef des Wasserstoffprogramms Jean-Michel-Billig da noch zitiert.

Glaube vs. Geschäftsbericht

„Der Wasserstoffmarkt bleibt ein Nischensegment ohne Aussichten auf mittelfristige wirtschaftliche Nachhaltigkeit“, sagt jetzt Jean-Philippe Imparato, Chief Operating Officer für Enlarged Europe, zu der Kehrtwende. Während zahlreiche Medien daraufhin sinngemäß mit der Schlagzeile aufmachten, Stellantis habe „den Glauben an Wasserstoff“ verloren, könnten im Hintergrund allerdings nackte Zahlen eine Rolle spielen.

Ein Blick in die Geschäftsberichte zeigt: 2024 sackten die Umsätze des zweitgrößten europäischen Autokonzerns um 17,23 Prozent gegenüber 2023 von 189 Milliarden auf 156 Milliarden Euro. Der Gewinn brach im gleichen Zeitraum gar um mehr als 70 Prozent ein: von 18,6 Milliarden auf 5,5 Milliarden Euro.

Finanzprognose für 2025 ausgesetzt

Und im ersten Quartal 2025 wurde es nicht besser: Der Nettoumsatz lag bei 35,8 Milliarden Euro – ein Rückgang um 14 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres, „vor allem wegen geringerer Absatzvolumina“, so der Finanzvorstand Doug Ostermann bei der Präsentation. In Zahlen: ein Rückgang von neun Prozent auf 1,217 Millionen Einheiten. Das Unternehmen setzte daraufhin seine Finanzprognose für 2025 aus. Begründung: Unsicherheiten im Zusammenhang mit US-Zöllen.

Analysten sehen den 2020 aus der Fusion von Groupe PSA mit Fiat Chrysler Automobiles gegründeten Konzern, der mehr als ein Dutzend europäische und US-Marken unter seinem Dach vereint, allerdings noch an drei Fronten unter enormem Druck. So geriet Stellantis In den USA offenbar ins Visier der Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA, berichtete das Branchenportal „Börse Express“ Anfang Juli. Es wurde nach Beschwerden von Fahrzeugbesitzern über Bremsendefekte ein Rückruf von rund 1,2 Millionen Trucks der Marke Ram eingeleitet. Hinzu komme, dass in Italien, einem der wichtigsten europäischen Produktionsstandorte, der Markt im ersten Halbjahr 2025 um 27 Prozent eingebrochen sei, bei Pkw waren es dort 34 Prozent. Und schließlich schlug dem Bericht zufolge auch noch die Bank of America Alarm, stufte die Stellantis-Aktie von „Buy“ auf „Neutral“ herunter und kappte das Kursziel drastisch von 16 auf 10 Euro. Begründung: „Strukturelle Schwächen in Europa, wo Stellantis im Bereich Elektrofahrzeuge deutlich hinter der Konkurrenz“ zurückliege.

Symbio-Partner: Besorgt und wütend

Manche Folgen der Entscheidung sind noch gar nicht absehbar. Im Mai 2023 war Stellantis mit 33,33 Prozent als Gesellschafter bei dem Joint Venture Symbio SAS eingestiegen, an dem mit gleichen Anteilen auch der Reifenhersteller Michelin sowie der französische Automobilzulieferer Faurecia SE, Teil der Forvia Gruppe, beteiligt sind. Symbio hatte im Dezember 2023 bei Lyon (Frankreich) eine Gigafactory für Brennstoffzellen eröffnet, marketinggerecht „SymphonHy“ genannt.

Die Symbio-Brennstoffzellenfabrik „SymphonHy“ wurde im Dezember 2023 in Betrieb genommen. Ab 2026 sollten jährlich 50.000 Systeme ausgeliefert werden. © Symbio SAS

Im vergangenen Jahr hatte Symbio dann eine Reihe von Geschäftspartnerschaften geschlossen: So sollte mit dem nordirischen Busbauer Wrightbus ein 300 Kilowatt leistender Brennstoffzellenbus entwickelt werden. Auf der Automesse ACT Expo in Kalifornien stellte man einen ersten schweren Brennstoffzellen-Lkw vor, und auch Kawasaki Heavy Industries schloss ein Abkommen zur Entwicklung von weiteren Brennstoffzellen.

Mit der Bekanntgabe des Brennstoffzellen-Stopps kündigte Stellantis zwar auch Gespräche mit den Aktionären an, „um die aktuellen Marktauswirkungen zu bewerten und die besten Interessen von Symbio im Einklang mit ihren jeweiligen Verpflichtungen zu wahren“. Doch sind beide Mit-Gesellschafter sichtlich sauer und zudem sehr beunruhigt, denn allein die Bestellungen von Stellantis machten etwa 80 Prozent des geplanten Produktionsvolumens von Symbio aus, heißt es in einer „Klarstellung“ unisono.

Entscheidung mit irreversiblen Folgen

Die Unternehmen seien zwar im Mai über den neuen Stellantis-Plan informiert worden, dass der Konzern seine Wasserstoffaktivitäten 2026 einstellen wolle. „Diese unerwartete Veränderung kommt trotz der Tatsache, dass Stellantis sowohl Mitaktionär als auch Hauptkunde von Symbio ist und seit langem den Ehrgeiz hat, den Wasserstoffmobilitätsmarkt für leichte Nutzfahrzeuge zu gestalten.“

In den letzten zwei Jahren habe Symbio seine Investitionen, Einstellungen und Entwicklungspläne auf der Grundlage der von Stellantis für die nächsten acht Jahre angegebenen Anforderungen skaliert. Vor kurzem war Symbio im Rahmen einer im April 2025 angekündigten Projektausschreibung der französischen Regierung zudem „vollständig darauf vorbereitet“, Brennstoffzellen für Stellantis-Fahrzeuge zu produzieren, die für dieses Programm in Frage kommen, so Michelin und Forvia. Die Entscheidung von Stellantis „wird für Symbio irreversible operative und finanzielle Folgen haben“, fürchten die Mit-Gesesellschafter. Auch seien sie besonders besorgt über die Auswirkungen auf die mehr als 600 Mitarbeiter.

Glaube verloren oder von Investoren gejagt?

Der nächste Stellantis-Quartalsbericht ist für den 29. Juli angekündigt. Dieser wird dann mutmaßlich vom neuen CEO Antonio Filosa präsentiert, der seit 23. Juni formell im Amt ist. Der Executive – zuletzt COO und für das Amerika-Geschäft zuständig – ist eine Inhouse-Entscheidung. Die Personalie bedarf noch der Zustimmung der außerordentlichen Hauptversammlung am 18. Juli.

Der vormalige CEO Carlos Tavares war im Dezember 2024 zurückgetreten. Üblicherweise werden solche Schritte bei Unternehmen dieser Größe mit „persönlichen“ oder „gesundheitlichen“ Gründen kommuniziert, begleitet von allerherzlichsten Abschiedswünschen. Doch hier gab es einen eher ungewöhnlichen Kommentar von Senior Independent Director Henri de Castries: „Der Erfolg von Stellantis beruht auf einer perfekten Abstimmung“ zwischen dem Vorstand und dem CEO. „In den letzten Wochen sind jedoch unterschiedliche Meinungen aufgekommen, die dazu geführt haben, dass der Vorstand und der CEO die heutige Entscheidung (zum Rücktritt / d.Red.) getroffen haben.“ War da schon was?

Dies könnte in Summe bedeuten, dass das vom Konzern angeführte schlechte Markumfeld für Wasserstoff nur ein Bruchteil mit dem Aus zu tun hat, sondern derzeit noch prestigelose finanzielle Belastungen gekappt werden: Hat das Unternehmen also nicht wirklich den Glauben in die Technologie verloren, sondern wird die Geschäftsleitung womöglich von den Investoren gejagt? Der 29. Juli könnte Antworten liefern.

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Vor einem Jahr hatte Stellantis die Serienproduktion für seine Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellen verkündet. Jetzt gibt der Konzern seine Brennstoffzellensparte auf. © Stellantis NV