(Salzgitter) – Blitzbesuch bei der Salzgitter AG in Niedersachsen: Konzernchef Gunnar Groebler empfing am Mittwochabend auf dem Firmengelände EU-Energiekommissarin Kadri Simson, Bundewirtschaftsminister Robert Habeck und den niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies. Anlass des Besuchs sind die Pläne des Unternehmens für eine klimaneutrale Stahlproduktion.

Der Konzern ist bislang für ein Prozent (acht Millionen Tonnen) der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Bis 2025 will man 30 Prozent der klimaschädlichen Gase einsparen, bis Ende 2033 sollen es 95 Prozent werden. Im Rahmen des „Salcos“ (SAlzgitter Low CO2Steelmaking) genannten Vorhabens will der zweitgrößte Stahlkonzern des Landes daher künftig den bislang für die Verhüttung von Eisenerzen erforderlichen Kohlenstoff per Direktreduktion zunächst durch Erdgas und – bei hinreichender Verfügbarkeit – durch grünen Wasserstoff ersetzen.

Projekt „Salcos“: Mit grünem Wasserstoff will die Salzgitter AG dereinst aus Eisenerz in einer Direktreduktionsanlage Eisenschwamm produziert. Daraus wiederum entsteht in einem Elektrolichtbogenofen Rohstahl zur Weiterverarbeitung. © Salzgitter AG

Für die Umsetzung der erste Phase sind Investitionen in Höhe von mehr als zwei Milliarden Euro vorgesehen – rund eine Milliarde davon kommen von Bund (70 Prozent) und Land (30 Prozent). Den Förderbescheid hatte Robert Habeck – wie berichtet – im April auf der Hannover-Messe öffentlichkeitswirksam an Groebler überreicht. „Dies dürfte wohl einer der höchsten Bescheide in der Geschichte der Wirtschaftsförderung sein“, sagte der Grünen-Politiker jetzt in Salzgitter. Bis vor Kurzem sei nicht klar gewesen, dass sich ein Stahlkonzern an die Spitze der energiepolitischen Transformation setzen würde.

Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) betonte die Bedeutung der Offshore-Windkraft für Niedersachsen. Das Bundesland habe damit beste Voraussetzungen, eine führende Rolle bei der Produktion von Ökostrom und damit auch bei der Herstellung von grünem Wasserstoff zu übernehmen.

H2Global als Modell für ganz Europa

Hinzu komme die laut Habeck „positive Entwicklung“ der Stiftung „H2Global“. Mittels dieser Konstruktion wird grüner Wasserstoff weltweit möglichst billig eingekauft und in Deutschland auktioniert. Weil das Gas in Öko-Qualität aufgrund des noch geringen Angebots aktuell teuer bezahlt werden muss und der hiesige Verkauf die Kosten nicht deckt, zahlt das Bundeswirtschaftsministerium für einen begrenzten Zeitraum die Preisdifferenz und stellt dafür insgesamt fünf Milliarden Euro bereit.

Die erste Ausschreibungsrunde für den Import von grünem Wasserstoff hatte H2Global im Dezember vergangenen Jahres gestartet. Mit steigender Zahl von Wasserstoffproduzenten und -abnehmern werde sich die Markt dann in wenigen Jahren selbst regulieren, so Habeck.

Aufbau einer Europäischen Wasserstoffbank

Dieses Prinzip „Contracts-for-Difference“ sei offen für weitere Akteure – auch europaweit, sagte Habeck in Salzgitter mit Blick auf die neben ihm stehende EU-Kommissarin. Man wolle gern auf den „Erfahrungen Deutschlands als Vorreiter bei der Durchführung einer internationalen Wasserstoffauktion aufbauen“, sagte Kadri Simson, und „mit der Europäischen Wasserstoffbank die erste Ausschreibung entwickeln, die allen Mitgliedstaaten offensteht“. Bei einem bilateralen Treffen vor dem Salzgitter-Besuch sei dies am selben Tag in Hannover bereits diskutiert worden.

EU-Kommissarin Kadri Simson (links): „Der Stahlsektor ist einer der Haupttreiber für die Wasserstoffwirtschaft.“ © Andreas Lohse

Die Europäische Wasserstoffbank (EHB), eine Initiative der EU-Kommission, soll sowohl die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff in der EU als auch dessen Import erleichtern. Ziel ist es, die Anbieter mit den europäischen Abnehmern zusammenzubringen, um bis 2030 rund 20 Millionen Tonnen erneuerbaren Wasserstoff in und für die EU zu produzieren.

Robert Habeck begrüßte es ausdrücklich, H2Global zu einem „integralen Bestandteil“ der Europäischen Wasserstoffbank zu machen: „Das Doppelauktionsmodell kann zu einem wichtigen Baustein auch für andere Länder werden.“

Direktreduktionsanlage bestellt

In Salzgitter jedenfalls gehen die Planungen zur klimafreundlichen Transformation voran: Der Stahlkonzern hatte wenige Tage vor dem Besuch des energiepolitischen Spitzentrios eigenen Angaben zufolge ein Konsortium aus Tenova, Danieli und DSD Steel Group damit beauftragt, eine erste Direktreduktionsanlage auf dem Gelände der Salzgitter Flachstahl GmbH zu errichten. Das Aggregat sei „die größte Teilanlage“ im Rahmen von Salcos und verfüge über eine Produktionskapazität von etwa zwei Millionen Tonnen Eisen pro Jahr. Die Anlage könne flexibel mit Wasserstoff und Erdgas in beliebigen Mischungsverhältnissen betrieben werden.

Kadri Simon geht davon aus, dass „der Stahlsektor einer der Haupttreiber“ für die aufkeimende Wasserstoffwirtschaft sein wird. Allein Salzgitter benötige davon nach Konzernangaben im Endausbau von Salcos jährlich rund 300.000 Tonnen.

Wasserstoffnetz erforderlich

Anfang Mai meldete die Salzgitter AG, man habe mit dem Oldenburger Energiedienstleister EWE eine Absichtserklärung zum Bezug grünen Wasserstoffs unterzeichnet. Bislang gebe es aber noch keine festen Kontrakte zur Belieferung des Konzerns mit dem Energieträger, sagte Gunnar Groebler auf Nachfrage und verwies auf die erforderliche Anbindung des Werks an Pipelines.

Tradition und Moderne: Die Salzgitter AG will mit der Direktreduktion von Eisen ab 2033 rund 95 Prozent der CO2-Emissionen einsparen. Die Windräder im Hintergrund stehen auf dem Konzerngelände und liefern bereits grünen Strom für die Elektrolyse. © Andreas Lohse

Daran arbeiten derzeit die Fernleitungsnetzbetreiber. Ein Netz aus Leitungen soll dereinst Hersteller und Abnehmer von grünem Wasserstoff in Europa miteinander verbinden.

„Die Planungen dafür laufen auf Hochtouren“, sagte der vor Ort recht entspannt wirkende Robert Habeck. Für den derzeit nahezu täglich verbal angegangenen Bundeswirtschaftsminister schien dieser Abend in der Kulisse von Tradition und Moderne der Stahlstadt gleichsam ein Heimspiel: Kritik an den Wasserstoffvorhaben des Bundes immerhin gibt es bislang kaum.

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Das energiepolitische Spitzentrio beim Besuch der Salzgitter AG (v.l.n.r.): Konzernchef Gunnar Groebler, EU-Kommissarin Kadri Simon, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Wirtschaftsminister Niedersachsens Olaf Lies. © Andreas Lohse