(Kassel) – Ein interaktiver Atlas zeigt erstmals die globalen Potenziale für Power-to-X-Anwendungen. Die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE haben dazu weltweit die Standortbedingungen für die Produktion von grünem Wasserstoff sowie für regenerativ erzeugte synthetische Kraft- und Brennstoffe zusammengetragen und analysiert. Ziel des Projekts ist es, „mit den klimapolitischen Zielen der Bundesregierung verträgliche Entwicklungspfade im Verkehrssektor in Rückkopplung mit anderen Sektoren des Energiesystems wissenschaftlich zu untersuchen“, so das Institut. Dabei konzentrierten sich die Wissenschaftler auf Standorte außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes.
Im Power-to-X-Atlas werden beispielsweise Flächenressourcen und Wetterbedingungen berücksichtigt und zusammengeführt, ebenso Faktoren wie die lokale Wasserverfügbarkeit, Naturschutz oder Investitionssicherheit. Per Mausklick lassen sich Daten über die regionale Sonneneinstrahlung sowie das Windkraftpotenzial abrufen – etwa um den Ertrag von Photovoltaik- und CSP-Anlagen sowie Windparks abschätzen zu können. In einer Präsentation zeigte Maximilian Pfennig vom Fraunhofer IEE, der den Atlas entwickelt hat, dass Interessenten „unter anderem die für PtX in Frage kommenden Flächen, die regional jeweils erreichbaren Volllaststunden und mögliche Erzeugungsmengen, die jeweiligen Gestehungskosten für die verschiedenen PtX-Energieträger sowie die Kosten für deren Transport nach Europa abrufen“ können.
Potenzial für 109.000 Terawattstunden flüssigen grünen Wasserstoffs
Außerhalb Europas ließen sich der Analyse zufolge langfristig insgesamt etwa 109.000 Terawattstunden flüssigen grünen Wasserstoffs beziehungsweise 87.000 Terawattstunden (TWh) synthetische Kraft- und Brennstoffe (Power to Liquids, PtL) herstellen. Zwar lasse sich das insgesamt vorhandene Potenzial nach Angaben des Fraunhofer IEE nur zum Teil erschließen, etwa „weil mancherorts keine ausreichende Investitionssicherheit gegeben ist, oder weil es an nötiger Infrastruktur fehlt“. Doch selbst bei Berücksichtigung dieser Faktoren liege das umsetzbare Potenzial noch immer bei 69.100 TWh Wasserstoff beziehungsweise 57.000 TWh PtL. Prognosen zufolge würden für die globale Luftfahrt bis 2050 „mindestens 6.700 Terawattstunden und für den weltweiten Schiffsverkehr 4.500 Terawattstunden PtL benötigt“. Damit bliebe hinreichend Spielraum für weitere Wasserstoffanwendungen in den Segmenten Verkehr und Transport.
Brennstoff vor Ort erzeugen
Eine weitere Erkenntnis: Es ist oft kostengünstiger, Brenn- und Kraftstoffe für den europäischen Markt direkt dort zu produzieren, wo auch der grüne Wasserstoff erzeugt wird, statt diesen zunächst nach Europa zu transportieren, so die Forscher. Um Wasserstoff über lange Distanzen zu transportieren, müsse dieser verflüssigt werden, was viel Energie verschlinge und Kosten verursache. Hinzu kämen Verdampfungsverluste der Flüssiggase während des Transportes.
Niedrige Erzeugungskosten mit Sonne und Wind
Standorte mit guten Bedingungen für die Nutzung von Windenergie und Photovoltaik weisen naturgemäß die niedrigsten Erzeugungskosten auf. Länder wie die USA und Australien könnten zwar große Mengen an PtX-Energieträgern liefern. Allerdings dürfte insbesondere in den USA die inländische Nachfrage groß sein, weil dort nicht zuletzt einige Lkw-Hersteller mit neuen Trucks für Langstrecken auf den Markt gehen, was die Elektrolyseur-Hersteller wiederum beflügelt, eine Tankinfrastruktur aufzubauen. Und in Australien orientiert man sich sich gern in den asiatischen Raum hinein, insbesondere durch Kooperationen mit japanischen Autobauern (wir berichteten mehrfach). Nicht zuletzt wäre es allerdings „auch wirtschaftlich nicht sinnvoll“, aus diesen Ländern grünen Wasserstoff bis nach Europa zu exportieren, mutmaßen die Wissenschaftler.
Während das Bundesforschungsministerium Afrika im Rahmen eines eigenen jüngst vorgestellten Projekts als möglichen künftigen „Energieversorger der Welt“ sieht, relativiert das Fraunhofer IEE diese Einschätzung. Europa nahe gelegene Staaten wie Ägypten oder Libyen wären zwar „prinzipiell in der Lage, große PtX-Volumina zu liefern – und auch grünen gasförmigen Wasserstoff, da die Transportstrecken vergleichsweise kurz sind“. Doch „die sozioökonomischen Bedingungen“, höhere Investitionsrisiken und damit auch Finanzierungskosten senkten die Wahrscheinlichkeit, „dass dort PtX-Projekte in großem Umfang realisiert“ würden.
Große Potenziale in vielen Regionen der Welt
Gleichwohl könnten in vielen Regionen der Welt und abhängig vom Standort langfristig große Mengen an PtX-Energieträgern regenerativ produziert und exportiert werden, sagte Norman Gerhardt im Rahmen der Präsentation. Der Leiter Energiewirtschaft und Systemanalyse beim Fraunhofer IEE betonte indes, dass seiner Auffassung nach „trotz des großen Potenzials grüner Wasserstoff und grüne synthetische Brenn- und Kraftstoffe immer nur Ergänzung sein“ könnten. Die Steigerung der Energieeffizienz und der direkte Einsatz erneuerbaren Stroms „muss stets Priorität haben“.
Der PtX-Atlas wurde im Rahmen des Projekts DeVKopSys vom Bundesumweltministerium gefördert.
Der PtX-Atlas ist ab 1. Juni online und interaktiv frei nutzbar unter
https://devkopsys.de/ptx-atlas/
Veranstaltungen des IEE zur Einführung des PtX-Atlasses
1. Juni 2021, 11.30-13.00 Uhr
Experten-Session für Politik, Verbände und Wirtschaft. Referenten: Christian Hochfeld, Direktor Agora Verkehrswende, Torsten Schwab, Direktor PtX Hub (GIZ), sowie Norman Gerhardt, Maximilian Pfennig und Jochen Bard vom Fraunhofer IEE. Anmeldung:
https://www.eniq.fraunhofer.de/de/veranstaltungen0/power-to-x.html
2. Juni 2021, 10.00-11.00 Uhr
Vorstellung des Atlasses für Wissenschaftler und die interessierte Öffentlichkeit. Anmeldung:
https://www.eniq.fraunhofer.de/de/veranstaltungen0/power-to-x1.html
Deep Link
https://s.fhg.de/ptx-atlas
Foto(s)
Standortanalyse: Screenshot PtX-Atlas / © Fraunhofer IEE
Grafik
Erzeugungskosten und kumulierte Erzeugungsmenge global untersuchter Küstenstandorte zur Herstellung von flüssigem Wasserstoff unter Verwendung einer Niedertemperatur PEM-Elektrolyse © Fraunhofer IEE